Ambler-Warnung
den Mann wirklich richtig einschätzte oder ob es noch eine verborgene Seite an ihm gab, von der er nichts ahnte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Adrian, der die Hoffnung nie aufgab.
»Ja«, sagte Caston, »das können Sie tatsächlich. Als wir bei
Consular Operations die zugangsbeschränkten Akten über den Agenten mit dem Decknamen Tarquin angefordert haben, hat man uns nur Fragmente geliefert. Ich brauche alles, was die Kerle zusammenkratzen können. Zugangsberechtigung der Führungsebene, DCI-Level. Sagen Sie denen, sie sollen die Berechtigung im Büro des DCI bestätigen lassen und den Vorgang beschleunigen.« In Castons Stimme schwang ein leiser Hauch eines Brooklyner Akzents mit – Adrian hatte sehr lange gebraucht, um das zu erkennen -, und er beherrschte sowohl den technischen Fachjargon als auch die New Yorker Gossensprache perfekt.
»Moment mal«, sagte Adrian. »Sie haben Zugang zum DCI-Level?«
»Die Berechtigung wird von Projekt zu Projekt neu vergeben, aber im Allgemeinen ja.«
Adrian versuchte, seine Überraschung zu verbergen. Er hatte gehört, dass es in der gesamten Agency weniger als ein Dutzend Mitarbeiter gab, die Zugang zu Daten dieser Sicherheitsstufe bekamen. Und Caston war einer von ihnen?
Aber wenn Caston Zugang nach ganz oben erhalten hatte, dann war sein Assistent, also er selbst, mit Sicherheit ebenfalls sehr gründlich durchleuchtet worden. Adrian errötete. Ihm war zu Ohren gekommen, dass neue Mitarbeiter routinemäßig überprüft wurden, besonders wenn sie mit streng geheimen Informationen in Kontakt kamen. War vielleicht sogar seine Wohnung verwanzt? Adrian hatte stapelweise Dokumente unterzeichnen müssen, bevor man ihn eingestellt hatte. Zweifellos hatte er damit auch auf alle Rechte zum Schutz der Privatsphäre verzichtet, die er als Zivilist vielleicht genossen hatte. Aber wurde er wirklich laufend überwacht? Adrian grübelte über diese Möglichkeit nach. Und wenn er ganz ehrlich war, dann entzückte ihn der Gedanke.
»Außerdem brauche ich mehr Daten von Parrish Island«, sagte Caston. »Ich will die Personalakten von allen Mitarbeitern, die innerhalb der letzten zwanzig Monate in der Station 4W gearbeitet haben: Arzte, Schwestern, Pfleger, Wachmänner. Alle.«
»Wenn die Akten digitalisiert sind, müsste die Verwaltung sie als sichere E-Mail an uns schicken können«, sagte Adrian. »Sollte kein Problem sein.«
»Die Computerplattformen der US-Regierung sind ein einziger Flickenteppich. Was automatisch laufen sollte, funktioniert nie automatisch. Alle haben ihr eigenes System: FBI, INS, sogar das verdammte Landwirtschaftsministerium. Diese Ineffizienz ist gelinde gesagt bescheuert.«
»Außerdem bestehen manche Akten womöglich noch aus Papier. Dann dauert es noch länger.«
»Der Zeitfaktor ist entscheidend. Sorgen Sie dafür, dass das alle kapieren.«
Adrian schwieg einen Augenblick. »Bitte um die Erlaubnis, frei sprechen zu dürfen, Sir«, sagte er dann.
Caston verdrehte die Augen. »Adrian, wenn Sie um Erlaubnis bitten wollen, bevor Sie frei sprechen dürfen, dann hätten Sie zur Army gehen sollen. Wir sind hier bei der CIA. Hier läuft das anders.«
»Heißt das, ich darf immer frei sprechen?«
Ein kurzes Kopfschütteln. »Sie haben uns vielleicht mit dem anderen CIA verwechselt. Dem Culinary Institute of America. Soll vorkommen.«
Manchmal war Adrian davon überzeugt, dass Caston überhaupt keinen Sinn für Humor hatte. Gelegentlich kam er jedoch zu dem Schluss, dass sein Humor einfach nur extrem trocken war – etwa wie das Death Valley.
»Okay. Naja, ich hatte den Eindruck, dass Consular Operations
absichtlich langsam arbeitet«, sagte Adrian. »Sie waren wohl nicht besonders glücklich über die Anfrage.«
»Natürlich nicht. Dann müssten sie ja zugeben, dass die CIA tatsächlich der zentrale Geheimdienst dieses Landes ist. Das verletzt ihren Stolz. Leider kann ich heute nicht alle organisatorischen Probleme der USA lösen. Aber ich brauche ihre Kooperation. Und das bedeutet, dass Sie die Burschen dazu bringen müssen, mit mir zu kooperieren. Darauf zähle ich.«
Adrian nickte ernst, seine Nackenhaare stellten sich vor angenehmer Aufregung leicht auf. Darauf zähle ich. Das klang ja beinahe wie Ich zähle auf Sie.
Eine Stunde später landete eine große, komprimierte Datei aus der Datenbank von Parrish Island in seinem Posteingang. Nachdem er sie entpackt und dechiffriert hatte, stellte sich heraus, dass die Hauptkomponente eine Art
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