Ambler-Warnung
uns leider nicht mehr helfen.«
»Weil sie tot ist?«
»Der Grund ist irrelevant – wir sollten wirklich nicht vom Thema abschweifen. Wir haben einen Ort, wir haben einen Zeitpunkt für die Aktion. Aber wir wollen nicht den Falschen ausschalten. Sehen Sie, wie viele Skrupel meine Auftraggeber haben? Andere würden einfach alle Leute in der Umgebung der vermuteten Zielperson ebenfalls erschießen, um sicherzugehen. Aber das entspricht nicht unserem Stil.«
»Sie übertreffen noch Mutter Teresa.«
»Wir streben natürlich nicht nach einem Heiligenschein. Aber Sie ja schließlich auch nicht.« Seine dunklen Augen blitzten. »Um aufs Thema zurückzukommen: Sie werden nur einen flüchtigen Blick brauchen, um die Zielperson zu erkennen. Denn weil er die Zielperson ist, weißer, dass wir ihn im Visier haben. Und genau so etwas erkennen Sie doch sofort.«
»Verstehe«, sagte Ambler, und das stimmte. Jedenfalls begann er langsam zu verstehen. Irgendeine illegal operierende Organisation wollte ihn anheuern. Der Auftrag, um den es hier ging, war wirklich ein Test – aber sie wollten nicht seine Fähigkeit testen, in anderen Menschen zu lesen. Nein, wenn er einen Staatsbeamten tötete, bewies er seine Vertrauenswürdigkeit, er bewies, dass er alle Brücken zwischen sich und seinen früheren Arbeitgebern abgebrochen hatte. Ganz zu schweigen von den Brücken zwischen sich und konventioneller Moral. Sie mussten glauben, er sei verbittert und wütend genug, um diesen Auftrag tatsächlich anzunehmen.
Vielleicht hatten sie nicht die richtigen Informationen über ihn eingeholt. Vielleicht wussten sie aber einfach mehr als er – vielleicht wussten sie im Gegensatz zu ihm, warum man ihn auf Parrish Island festgehalten hatte. Vielleicht hatte er ja mehr Grund zur Rache, als ihm bewusst war.
»Sind wir im Geschäft?«
Ambler dachte einen Augenblick nach. »Was ist, wenn ich ablehne?«
»Wer weiß das schon?«, lächelte Arkady. »Vielleicht sollten Sie ablehnen. Und sich mit Ihrer Unwissenheit abfinden. Es gibt Schlimmeres. Schließlich sagt man, dass Neugier tödlich sein kann.«
Neugier war das falsche Wort für das, was Ambler bewegte. Er wollte nicht weiterleben, ohne zu erfahren, was mit
ihm geschehen war. Er musste es wissen und jene zur Verantwortung ziehen, die versucht hatten, sein Leben zu zerstören. Ambler blickte zu dem Mann in der blauen Jacke, der im Gate am Schalter stand. »Ich glaube, wir sind im Geschäft.«
Es war Wahnsinn und gleichzeitig vielleicht das Einzige, was ihn davor retten konnte, wahnsinnig zu werden. Ambler erinnerte sich aus seiner Schulzeit noch an die griechische Sage über das Labyrinth von Kreta, in dem der Minotaurus wütete. Das Labyrinth war so weitläufig, dass kein Gefangener jemals den Weg nach draußen fand. Aber Theseus schaffte es mithilfe von Ariadne, die ihm ein Fadenknäuel gab und das Ende am Ausgang des Labyrinths festband. Er folgte diesem Faden, und so gelang ihm die Flucht. Im Moment war dieser Mann für Ambler das Einzige, was einem Ariadnefaden auch nur entfernt ähnelte. Er wusste allerdings nicht, zu welchem Ende des Labyrinths er führen würde – in die Freiheit oder in den Tod. Aber er wollte lieber dieses Risiko eingehen, als für immer verloren im Labyrinth umherzuirren.
Schließlich sprach Arkady, im Tonfall eines Mannes, der sich präzise Instruktionen genau eingeprägt hat: »Morgen Vormittag um zehn Uhr hat der Undercover-Ermittler eine Verabredung mit dem Generalstaatsanwalt der südlichen New Yorker Bezirke. Wir glauben, dass eine Limousine ihn an der Ecke St. Andrews Plaza 1 beim Foley Square in Lower Manhattan absetzen wird. Vielleicht ist er in einer Gruppe unterwegs, vielleicht auch allein. Auf jeden Fall ist er so verwundbar wie sonst nur selten. Der Agent muss eine weitläufige Fußgängerzone durchqueren. Sie werden dort auf ihn warten.«
»Ohne Back-up? Keine Rückendeckung?«
»Jemand wird Ihnen helfen. Zum richtigen Zeitpunkt wird unser Mitarbeiter Ihnen eine Waffe zustecken. Der Rest liegt bei Ihnen. Wir bestehen nur darauf, dass Sie unsere Anweisungen präzise befolgen. Ich weiß. Das ist, als würde man einen Jazzmusiker bitten, vom Blatt zu spielen, anstatt zu improvisieren. Aber in diesem Fall darf es keinerlei Improvisation geben.«
»Aber der Platz ist viel zu belebt«, protestierte Ambler. »Das ist ein lausiger Plan.«
»Wir schätzen Ihr besonderes Wissen wirklich sehr, aber Sie müssen uns auch unseres zugestehen. Sie kennen
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