Ambler-Warnung
Audiodatei war.
»Haben Sie eine Ahnung, wie man dieses Ding zum Laufen bringt?«, grunzte Caston.
Adrian bejahte stolz: »Dieses Ding ist eine 24-Bit-Datei im PARIS-Format. Professional Audio-Recording Integrated System, um genau zu sein. Sieht aus, als hätte sie eine Laufzeit von ungefähr fünf Minuten.« Adrian zuckte bescheiden mit den Schultern, wie um ein Lob abzuwehren, das allerdings nicht kam. »Ich war Vorsitzender des Audio-Video-Klubs in meiner Highschool. Ich bin ein Ass, was solche Dinge angeht. Wenn Sie jemals Ihre eigene Fernsehshow aufziehen möchten, dann bin ich Ihr Mann.«
»Ich werde versuchen, mir das zu merken.«
Adrian justierte die Software auf Castons Computer und startete dann die Audiodatei. Offenbar stammte die Aufnahme von einer Therapiesitzung mit Patient Nr. 5312 und spiegelte seinen damaligen Geisteszustand wider.
Sie wussten, dass Patient Nr. 5312 ein ausgebildeter Geheimagent war. Ein HVA mit zwanzig Jahren Berufserfahrung, der sich folglich im Besitz aller Top-Secret-Informationen befand, die er im Lauf dieser zwanzig Jahre angesammelt hatte: Methoden, Codes, Verbindungen, Informanten, Quellen und Netzwerke. Er kannte alles.
Und außerdem – die Aufnahme bewies es – war er vollkommen durchgedreht.
»Ich habe ein ganz ungutes Gefühl, was diesen Kerl betrifft«, wagte sich Adrian vor.
Caston rümpfte die Nase. »Wie oft muss ich es Ihnen denn noch sagen? Wenn Sie mir Logik, Informationen und Beweise liefern, dann haben Sie meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Wenn Sie zu einem wohlüberlegten Schluss gekommen sind, teilen Sie ihn mir bitte mit. Wahrscheinlichkeitsgrade sind unser Arbeitskapital. Aber bleiben Sie mir mit Ihren >Gefühlen< vom Leib. Es ist schön, dass Sie Gefühle haben. Vielleicht habe sogar ich welche, obwohl das gelegentlich bezweifelt wird. Aber bei unserer Arbeit haben sie nichts verloren. Das haben ich Ihnen schon mal erklärt.«
»Tut mir leid«, sagte Adrian entschuldigend. »Aber dass so ein Irrer frei herumläuft ...«
»Nicht mehr lange«, sagte Caston mehr zu sich selbst. Und mit noch leiserer Stimme wiederholte er: »Nicht mehr lange.«
Peking
Als Direktor der zweiten Abteilung des chinesischen Ministeriums für Staatssicherheit – der Abteilung für den Auslandsnachrichtendienst - hatte Chao Tang oft in Zhongnanhai zu
tun. Trotzdem schlug sein Herz jedes Mal ein bisschen schneller, wenn er dort ankam. Wie viel Geschichte hatte sich an diesem Ort verdichtet: wie viel Hoffnung, wie viel Versagen. Eine Geschichte, die Chao Tang sehr vertraut war und die jeden seiner Schritte überschattete. Zhongnanhai oder die »Mittel-Süd-See« war eine Hauptstadt innerhalb der Hauptstadt. Der riesige, schwer bewachte Gebäudekomplex, in dem Chinas Führungskräfte lebten und regierten, war seit den Tagen der mongolischen Herrscher, die seine Mauern im vierzehnten Jahrhundert errichtet hatten, ein Symbol des chinesischen Imperiums. Nachfolgende Dynastien hatten den Komplex im Lauf der Jahrhunderte immer wieder umgebaut. Mächtige Gebäude waren niedergerissen und neu errichtet worden. Manche dienten dem Streben nach Macht, andere dem Streben nach Luxus. Die Gebäude gruppierten sich um riesige, von Menschenhand angelegte Seen in der bewaldeten Pracht eines künstlichen Arkadiens. Als Mao im Jahr 1949 die unumschränkte Macht an sich riss, wurde der inzwischen verfallende Komplex wieder einmal neu aufgebaut, und bald danach bezogen die Führungskräfte des Staates ihre neue Heimstatt.
Der ehemals sorgfältig gestaltete Landschaftsgarten war eher praktischen Bedürfnissen gewichen und durch Straßen und Parkplätze ersetzt worden; von der früheren Pracht war im schmuck- und freudlosen Ostblockdekor nichts mehr zu erahnen. Aber die Veränderungen waren letztendlich nur kosmetischer Natur gewesen, denn auch die Revolutionäre blieben den älteren, tief verwurzelten Traditionen von Geheimhaltung und Abschottung treu. Chao fragte sich nun, ob diese Traditionen auch vor dem Mann Bestand haben würden, der sie unbedingt abschaffen wollte: Chinas jungem Staatspräsidenten Liu Ang.
Seiner Erinnerung nach hatte Liu Ang sich ganz bewusst dafür entschieden, seine Residenz in den Komplex zu verlegen. Sein Vorgänger hatte nicht dort gewohnt, sondern in einer bewachten Anlage ganz in der Nähe. Aber Liu Ang wollte aus gutem Grund im selben Komplex wie seine Führungskräfte residieren. Er glaubte an seine persönliche Überzeugungskraft und legte
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