Ambler-Warnung
nicht alle Aspekte des Einsatzortes. Meine Auftraggeber schon, und sie haben sie genauestens studiert. Das Zielobjekt ist ein vorsichtiger Mann, der nicht unter Brücken herumlungert, nur weil Ihnen das die Arbeit erleichtern würde. Dies ist wirklich eine außergewöhnliche Gelegenheit. Es wird lange dauern, bis so eine Chance wiederkommt, und dann ist es schon zu spät.«
»Mir fallen ein Dutzend Sachen ein, die schiefgehen könnten«, beharrte Ambler.
»Sie können den Auftrag immer noch ablehnen«, sagte Arkady mit plötzlich stählernem Blick. »Aber wenn Sie den Auftrag wie vorgeschrieben erledigen, dann werden Sie jemanden treffen, der in der Befehlskette über mir steht. Jemanden, den Sie kennen. Er hat mit Ihnen zusammengearbeitet.«
Jemand, der vielleicht wusste, was mit Harrison Ambler passiert war. Der seine ganze Geschichte kannte.
»Ich mache es«, sagte Ambler impulsiv. Er dachte ganz bewusst nicht darüber nach, auf was er sich gerade eingelassen hatte. Wenn er diesen Faden verlor, dann fand er ihn vielleicht nie wieder. Seinen Ariadnefaden – aber wohin führte er ihn?
Arkady beugte sich vor und tätschelte Amblers Handrücken. Von weitem sah es aus wie eine Geste der Zuneigung. »Wir verlangen wirklich nicht besonders viel. Sie sollen nur einen Auftrag erledigen, an dem andere gescheitert sind. Wäre für Sie ja nicht das erste Mal.«
Nein , dachte Ambler, aber vielleicht das letzte Mal.
Kapitel sieben
Langley, Virginia
Clayton Caston sah nachdenklich aus, als er in sein fensterloses Büro zurückkehrte. Nicht gedanken verloren , entschied Adrian Choi nach einem kurzen Blick, sondern irgendwie an gekommen. Caston sah aus wie ein Angler, der einen dicken Fisch am Haken hat. Wahrscheinlich eine besonders lange Tabellenkalkulation, dachte Adrian düster.
Bei Caston ging es fast immer um die eine oder andere Tabellenkalkulation. Adrian bildete sich allerdings nicht ein, dass er diesen Kerl vollständig durchschaut hätte. Gerade seine langweilige Unauffälligkeit machte ihn so mysteriös. Es war schwer, sich vorzustellen, dass er im gleichen Berufsfeld arbeitete wie zum Beispiel Derek St. John, der verwegene Held der Clive-McCarty-Romane, die Adrian begeistert verschlang. Caston würde ihn nie wieder ernst nehmen, falls er das je herausfand, aber Adrian hatte tatsächlich das neueste Paperback der Derek-St.-John-Serie in seinem Rucksack und war beim Frühstück beinahe bis zum Ende des ersten Kapitels vorgedrungen. Es ging um einen Nuklearsprengsatz, der im Wrack der Lusitania versteckt war. Adrian hatte mitten in einem besonders spannenden Absatz aufhören müssen: Derek St. John, der gerade durch das Wrack tauchte, konnte nur knapp einem Harpunenpfeil mit Sprengkopf ausweichen, den ein feindlicher Agent auf ihn abgefeuert hatte. Adrian hoffte, dass er in der Mittagspause noch ein, zwei Kapitel schaffen würde. Caston las wahrscheinlich lieber die neueste Ausgabe des Journal of Accounting, Auditing and Finance.
Vielleicht war es seine wohlverdiente Strafe, dass man ihn ausgerechnet dem langweiligsten Mann der gesamten Central Intelligence Agency unterstellt hatte. Adrian wusste noch gut, dass er bei seinem Vorstellungsgespräch den Mund ein bisschen zu voll genommen hatte. Irgendjemand in der Personalabteilung hatte einen merkwürdigen Sinn für Humor bewiesen und lachte sich jetzt wahrscheinlich beim Gedanken an ihn scheckig.
Ein Witz auf Adrians Kosten. Der Mann, für den Adrian arbeitete, trug jeden Tag die gleichen bügelfreien weißen Hemden, kaum zu unterscheidende Krawatten und Geschäftsanzüge, deren Farbspektrum von einem aufregenden S teingrau bis zu einem wilden, exzentrischen Anthrazit reichte. Natürlich arbeitete Adrian nicht für ein Herrenmodemagazin, aber man konnte es mit der Routine auch übertreiben. Caston sah nicht nur eintönig aus, er aß auch eintönig: Jeden einzelnen Tag bestand sein Mittagessen aus einem weich gekochten Ei und leicht getoastetem Brot, das er mit einem Glas Tomatensaft und einem Schluck Maaloxan für alle Fälle hinunterspülte. Einmal hatte er Adrian gebeten, ihm sein Mittagessen zu holen, und der hatte statt Tomatensaft eine Dose Gemüsesaft mitgebracht. Caston hatte ihn angesehen wie einen Verräter. He, lebe wild und gefährlich, Mann , wollte Adrian ihm sagen. Die gefährlichste Waffe, die der Kerl je in die Hand nahm, war ein gespitzter Bleistift mittlerer Härte.
Aber manchmal gab es Augenblicke, in denen Adrian sich fragte, ob er
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