Ambra
anzurufen, wann immer sie ihm begegnete. Sie drehte sich um und sah ihr Telefon auf ihrem Schreibtisch liegen. Diesen Anruf war sie Bronka schuldig.
Kaum hatte sie den Hörer in die Hand genommen, schob Bartosz Maya nach draußen, schloss die Tür hintersich und zog Maya um die nächste Häuserecke. Dann schlug er die Augen nieder und holte tief Luft.
Demoiselle Maya lachte so laut, dass Bartosz sich sicher war, Kinga würde es in der Pfandleihe hören, würde hören, wie Maya sich nicht mehr beherrschen konnte, wieherte, gackerte und blökte wie ein mittelgroßer Bauernhof draußen auf dem Land. Vor Lachen hatte sich ihr schwarzer Dutt noch weiter gelöst und wackelte hin und her, ihre Nase kräuselte sich, und in roten und schwarzen Rinnsalen flossen Kajal und Rouge die Wangen hinunter.
Maya traute ihren Ohren nicht: Dieser verstörte junge Mann vor ihr wollte sich doch tatsächlich mit Renia, ihrer Renia, ein Liebesnest gebaut haben, ein Versteck vor Familie und Freunden! Renia, der einst das halbe Publikum des Varietés nachgestiegen war, die Schöne, die Zarte, die hohlwangige Grazie hatte sich mit einem ehemaligen Schergen der polnischen Streitkräfte eingelassen …
Kinga darf es nicht wissen.
Bartosz drehte sich um, als erwarte er, Kinga um die Ecke stürmen zu sehen. Die Straße blieb leer. Maya stemmte die Arme in die Seiten.
Bring mich zu ihr. Ich muss dringend mit ihr reden. So unzuverlässig kenne ich das Mädchen gar nicht! Was ist denn bloß los mit ihr?
Demoiselle Maya schloss aus, dass Renia so sehr für Bartosz entflammt war, dass die Rauchschwaden des Liebesfeuers ihren Verstand benebelt hatten. Bartosz seinerseits schüttelte den Kopf und setzte sich in Bewegung, Maya folgte ihm und fragte sich, was bloß für Zeiten über das Varieté gekommen waren: Erst die Enttäuschungmit Kinga, dann Marios Gichtanfälle und jetzt das unentschuldigte Fehlen der Hauptattraktion. Es war eine einzige Katastrophe. Demoiselle Maya betrachtete sich in der Fensterscheibe eines Naturkostladens: Bald würde sie wieder ihre Haare nachfärben müssen, der graue Ansatz hatte sich bereits einen ganzen Zentimeter über die Stirn geschoben. Sie seufzte. Bartosz war vorgegangen und hatte beinahe die Unterführung erreicht. Maya packte ihr kleines Täschchen und lief ihm hinterher, nicht ohne das diffuse Gefühl, etwas vergessen zu haben.
Außer Atem schloss Maya zu Bartosz auf, der neben einem Parkautomaten auf sie wartete. Plötzlich war sie sich sicher, dass mit dem Mädchen etwas geschehen sein musste. Auf ihre Nachfrage, was Renia bis zum Zeitpunkt ihres Verschwindens die ganze Zeit getrieben habe, zuckte Bartosz mit den Schultern. Was wisse er schon von den Frauen? Irgendetwas werde sie schon getrieben haben. Maya hatte den Eindruck, dass Bartosz rot wurde, als er es sagte, beließ es aber dabei. Eigentlich hatte sie noch fragen wollen, was um alles in der Welt Kinga mit der Sache zu tun habe, doch sie sparte es sich auf für ihr Gespräch mit Renia. Im Grunde hatte sie Kinga als verständige, umgängliche Person in Erinnerung, was war denn bloß mit den Leuten geschehen? Sie beschloss, dass es sich hierbei um eine der Exaltiertheiten des Wassermannzeitalters handeln müsse und entschied, sich nicht weiter darüber den Kopf zu zerbrechen.
Ohne zu zögern, ging Bartosz durch die Gassen und die Hinterhöfe, achtete weder auf die Fahrzeuge – ein Wunder, dass ihn kein betrunkener Gasflaschenhändler, kein zehnjähriger Mopedfahrer und kein Auto der Stadtpolizei überfuhr – noch auf die Menschen, die seinenWeg kreuzten: achtete nicht auf die Gruppe von Schülern, die auf das nahe Gymnasium zugingen, nicht auf den buckligen Asiaten mit den Plastiktüten, und vor allem achtete er nicht auf Tilmann Kröger, mit dem er zusammenprallte und dessen überraschtes
Dzień dobry
er überhörte. Kröger sammelte sein Notizbuch auf, das ihm beim Zusammenstoß mit der Soldatenbrust aus der Hand gefallen war, und folgte dem ungleichen Paar. Auch Maya hatte ihn nicht gesehen, und so traf Kröger unbemerkt mit den anderen ein.
Nur: Wo waren die beiden geblieben? Kröger hatte sie von weitem über den Platz mit dem verwahrlosten Springbrunnen gehen sehen, weiter über die Straße und hinunter zum Fluss, aber dann waren sie plötzlich verschwunden. Verwirrt blieb er vor der ehemaligen Kaserne stehen.
Da drehte der Wind, und von der Einfahrt des maroden, mit Geißblatt bewachsenen Fachwerkhauses drangen Stimmen herüber. Dort
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