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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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so einer langen Reise, das arme Kind. Dann hatte sie Kingas widerspenstiges Haar glatt gestrichen, während sich draußen der Regen in Hagel verwandelte und gegen die Windschutzscheibe hämmerte.
    In wenigen Stunden fegte der Sturm alles Hinfällige fort: jahrhundertealte lose Ziegel, ein paar Dutzend morsche Bäume, achtlos vor der Tür gelassene Kinderwagen und einen kränklichen Schwan, der von einer Böe gepackt und gegen ein Auto geschleudert worden war; mehrere Dutzend Schuhe, Bälle, Satellitenschüsseln, einige Kamine, die nicht ordnungsgemäß gewartet worden waren, Hunderte von Metern Wäscheleine, zwei Balkone und etwa siebzig Blumentöpfe.
    Es dauerte viele Tage, bis die Stadtreinigung die Skelette der Fahrräder und Einkaufswagen, die sich an den Brückenpfeilern des Flusses verfangen hatten, herausgefischt, die Baumstämme, die auf die Straßen und Hinterhöfe gekracht waren, in Scheiben gesägt und in Kamine gesteckt und die Überreste der Backsteine, die sich während der heftigsten Sturmböen vom Turm der großen Kirche gelöst hatten, in den nächsten Rinnstein zusammengefegt hatte.
    Am schlimmsten hatte es den Stadtteil südlich der Schnellstraße erwischt. Als es Morgen wurde und der Sturm abgeflaut war, trauten sich seine Bewohner noch immer nicht auf die Straßen hinaus, aus Angst, die alten Stadtvillen, die sich bedenklich stark nach links und rechts bogen, würden im falschen Augenblick in sich zusammenstürzen und alles unter sich begraben, was sich in ihrer Nähe befand. Hatte es denn etwa nicht den Marek Kowalski erwischt, den Stadtstreicher, der in der Ruine des alten Wachturmes gewohnt hatte? Dort, wo sich die Überreste des Türmchens in den Himmel geschoben hatten, befand sich jetzt lediglich ein Haufen Steine, und alles Suchen der Nachbarn und der Stadtpolizei nach Marek und seinem rosa Plastikstuhl, auf dem er so gerne gesessen hatte, hatte nichts gebracht.
    Das Wasser wollte nicht abfließen und überzog die Straßen mit einem glitschigen Film, und an den Stellen, die etwas tiefer lagen als ihre Umgebung, sammelte es sich und bildete Pfützen, kleine Teiche, die das Passieren unmöglich machten. Auf dem kleinen Platz hinter den Kasernen lagen einige der jungen Bäume zerzaust am Boden, in ihren Kronen hatte sich die Wäsche von den umliegenden Balkonen verfangen, so dass kurz nach acht Uhr die ersten verschämten Anwohner sich auf denPlatz wagten und ihre Unterwäsche einsammelten, aufgeschreckt nur von einigen Körperteilen aus Gips und Speckstein, die vom Gelände der Akademie für Bildende Kunst herübergerollt waren. Argwöhnisch hoben sie ihre Köpfe, als sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung von den Bastionen herkommend wahrnahmen: Noch, so nahmen sie wahrscheinlich an, konnten die Böen jederzeit zurückkehren. Aber es war kein neues Unwetter, das sich da zusammenbraute, es waren lediglich drei Frauen, die, beladen mit Putzgerät, Farbeimern und einem Koffer, die Straße entlanggingen.
     
    Seht ihr, sagte Bronka Mysza und trat beherzt gegen einen Satyrkopf, seht ihr, was passiert wäre, wenn ihr gestern noch hierhergefahren wärt, weggefegt hätte es euch, noch bevor ihr die Pforte erreicht hättet. Davon, was euch in der Wohnung erwartet hätte, ganz zu schweigen … Sie warf Renia einen Blick zu.
    Bronka hatte Kinga im Laufe des Abends und während des Frühstücks ausführlich darauf vorbereitet, dass die Wohnung sich in einem, nun ja, desolaten Zustand befand, eigentlich sei seit dem Krieg nicht besonders viel gemacht worden, es habe immer am Geld gefehlt, und das bisschen Miete, die man für dieses – Bronka stockte –
Objekt
verlangen könnte, das gehe drauf für den Klempner und den Schornsteinfeger. Jetzt natürlich, da Kinga da sei, müsse man sich darum kümmern, dass alles zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst werde. Zu ihrer, Kingas, aber auch zu der der Myszas. Für einen Moment achtete Bronka nicht auf die Straße, sondern schaute besorgt hinüber zu Kinga, um zu überprüfen, ob sie den Hinweis verstanden hatte. Zwar hatte sie die Polnischkenntnisse des Neuankömmlings schon mehrfachund jedes Mal so euphorisch wie lautstark gerühmt, aber sicher war schließlich sicher. Schön und gut, dass Kinga die neue Eigentümerin war, in gewisser Hinsicht, aber die Miete, die stehe doch nach wie vor ihnen zu, wie in den fünf Jahren, seitdem Marian Emmerich die Wohnung vermacht habe. Marian übrigens sei der Vater ihres Mannes gewesen, aber das wisse sie ja sicherlich.

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