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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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Das sei für die gesamte Familie ein Schlag ins Gesicht gewesen, dass der Alte nicht ihnen die Wohnung vererbt hatte, sondern ausgerechnet der deutschen Verwandtschaft …
    Kinga aber schien den Hinweis nicht begriffen zu haben, und als Bronka erneut ansetzte, stolperte sie über einen Gipsarm, der vom Hof der Kunstakademie herübergerollt war. Kinga zuckte zusammen, als der Arm unter Bronkas Tritt brach und zersplitterte. Trotz des Schlafs, der Dusche und des deftigen Frühstücks hatten sich ihre Nerven noch immer nicht erholt. Immerfort musste sie an ihren Vater denken und den Zwischenfall auf seiner Beerdigung: das irrwitzige Loslösen des Sarges aus den Seilen, das Hinabpoltern, den deutlich hörbaren Aufprall von Emmerichs Leichnam auf dem Holz und gegen die Erde, die hochroten Köpfe der Sargträger, den offenen Mund des Pastors, der Kinga später fragte, ob sie Hilfe brauche. Kinga hatte den Kopf geschüttelt, obwohl sie genau gefühlt hatte, dass seit Tagen etwas Grundlegendes in Unordnung geraten war, dass die nervösen Zustände, unter denen sie seit dem Tod Emmerichs litt, immer öfter überhand nahmen und die jetzt, da er unter der Erde war, noch immer nicht nachgelassen hatten.
    Obwohl Bronka für sie und Renia das eheliche Schlafzimmer geräumt hatte, das Bett leidlich bequem war und Renia so ruhig wie ein Zinnsoldat neben ihr gelegen hatte, war ihr immer wieder der Vater in den Sinngekommen, und so war sie erst weit nach Mitternacht in einen leichten Schlaf gefallen, aus dem sie schwitzend wieder aufgewacht war. Renias schlafender Körper hatte neben ihr gelegen, und im Licht, das durch die Jalousien drang, hatte sie die Umrisse ihrer sich hebenden und senkenden Brust gesehen.
    Also, ich wohne gerne da, sagte Renia und schwenkte ihren Farbeimer umher. Man hat seine Ruhe, ist trotzdem nah am Zentrum, und es gibt keinen Vermieter, der einem ständig reinredet.
    Klingt gut.
    Hoffentlich bleibt das auch so.
    Kinga gab sich alle Mühe, arglos dreinzuschauen, wechselte ihren Koffer von der einen in die andere Hand, sogar ein Lächeln für Bronka rang sie sich ab, die irgendeinen Witz machte über eine Herbergsmutter, die sie mal kannte. Sie schnaufte dabei ein klein wenig, immerhin waren sie jetzt schon eine gute Viertelstunde unterwegs, und Bronka war weder die Jüngste noch die Schlankste. Schon das hätte ausgereicht, um Kingas Missmut zu erregen. Von alten, unbeholfenen Menschen hatte sie ein für alle Mal genug, noch dazu, wenn sie deformiert und geschädigt waren vom Kommunismus und der Armut, die er gebracht hatte. Aber Kinga war klug genug, ihre leise Verachtung zu verbergen, und so beschränkte sie sich darauf, Bronkas Schuhe zu beobachten, die bei jedem Schritt ein Quietschen von sich gaben. Als sie eine größere Pfütze durchqueren mussten und das Quietschen kein Ende nahm, wollte sich Kinga schon aufraffen, irgendein Gespräch anzufangen, aber gerade, als sie sich Bronka zuwenden wollte, blieb Renia abrupt vor einer Pforte stehen, die zu einem Hof führte.
    So, da wären wir, sagte Bronka. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Hast du den Schlüssel dabei?
     
    Das Gebäude befand sich an der Stirnseite des Hofes. Es neigte sich kaum merklich nach rechts, als würde es lieber ein, zwei Meter näher am Fluss stehen wollen. Im Erdgeschoss befand sich ein kleines Ladenlokal, davor breiteten sich Brennnesseln aus, die von einem morschen Holzzaun zu einer Art Vorgarten zusammengehalten wurden. In ihrer Mitte stand ein Hydrant, an den jemand ein fadenscheiniges Unterhemd gehängt hatte. Ein Baum wedelte mit den Blättern, die der Sturm ihm gelassen hatte, ein paar Kastanien lagen zerquetscht im Hof, der Geruch von Kohle und verbranntem Plastik schwebte in der Luft. In der Nachbarschaft standen einige heruntergekommene Häuschen, mit Vorgärten, in denen nasse Kinderwäsche hing. Brachflächen hatten sich ausgebreitet, auf denen abwechselnd Sumpfpflanzen und Müllhalden gediehen, daneben ein paar Container, Schutthaufen und ein paar Enten, die in einer Pfütze schwammen.
    Da, schau mal. Bronka schnipste mit dem Zeigefinger gegen ein zersprungenes Klingelschild. In krakeligen Buchstaben stand dort
Mysza
geschrieben, vielleicht auch
Mischa
, wenn man genau hinschaute. Unter der schwarzen Schrift befand sich, kaum erkennbar, ein feinerer blauer Schriftzug.
    Dein Vater hat angeordnet, dass es da hängen bleiben soll, egal, was sonst mit der Wohnung geschieht.
    Kinga bückte sich und betrachtete das

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