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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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Auseinandersetzungen, fuhr sich über den Kopf, der Teller mit den Würstchen schwankte bedenklich in seiner Hand. Weißt du was, Kinga? Warum sagst du nicht einfach, dass du die Wohnung verkaufen willst?
    Will ich vielleicht gar nicht, sagte Kinga. Das habe ich an meinem Vater gesehen: Wie ihn das kaputtgemacht hat, die eigene Heimat zu verlieren. Aber davon wisst ihr ja nichts.
    Da stand Brunon von der Decke auf und steckte sich das Hemd tiefer in die Hose. Wissen? Der Krieg ist wie ein Panzer über uns hinweggerollt, uns hat er tief in den Asphalt der Stadt hineingedrückt, euch hat er wie ein Bulldozer vor sich hergeschoben und als Häuflein Dreck irgendwo in Westdeutschland abgeladen. Es war aber die Entscheidung deines Großvaters, die Stadt zu verlassen. Hat lange gedauert, bis mein Vater Marian das begriffen hat. Kurz vor seinem Tod hatte er noch einen Wunsch: Dass sich die Familie endlich versöhnen möge. Er ist vor ein paar Jahren gestorben, aber das weißt du ja, ohne sein Testament wäret ihr schließlich nie an die Wohnung gekommen.
    Tut mir leid. Dass er gestorben ist, meine ich.
    Ach so? Mir nicht. Bis auf die Zeit vor seinem Tod warer unausstehlich. Hat immerfort von der Wohnung geredet und davon, wem sie wirklich gehört. Angeblich hatte sein Vater sie ja Konrad vermacht, nicht ihm. Wollte er noch zurechtbiegen, vor seinem Tod, und hat die Wohnung Emmerich vererbt. Mein Vater hat immer gesagt: Gedanken sind Kräfte. Er hat dich hergerufen, und du bist ihm gefolgt.
    Unwillkürlich schüttelte Kinga den Kopf. Sie war ganz in einen Gedankengang versunken und kam erst wieder zu sich, als ein Motor aufheulte. Bartosz hatte anscheinend genug vom Familientreffen. Mit weit offenstehendem Kofferraum und durchdrehenden Reifen fuhr er den Feldweg hinunter.
     

    Auf der Rückfahrt hörten wir Mazurkas von Chopin und schwiegen. Der kleine Streit, den Bartosz und ich um die Staatsangehörigkeit des Komponisten anzettelten, währte nicht lange, und schon bald waren alle wieder in ihre eigenen Gedanken versunken. Ob mit dem Treffen etwas gewonnen war? Schwer zu sagen. Kurz bevor Bartosz sich erbarmt hatte und wieder umgekehrt war, hatte Bronka verboten, noch einmal von der Wohnung zu sprechen.
    Als wir die Stadtgrenze wieder erreicht hatten, fiel mir Renia ein. Ich schämte mich für meine Beichte vor der Abfahrt. Was, wenn ich heillos übertrieb? Vielleicht war ich auf eine andere, familiäre Weise mit gewissen Menschen verbunden, vielleicht hatte ich einfach ein Gefühl für sie, und alles andere war nichts als Tagträumerei. Ich würde all das klarstellen müssen, wenn ich sie sah. Meine feuchten Handflächen wischte ich an der Hose ab, als wir vor dem Haus hielten.
    Und dann war sie nicht einmal da. Ich stand im Flur, neben mir ein Korb mit Restessen, den mir Bronka mitgegeben hatte, darin auch eine Flasche Krimsekt, die mir Brunon zugesteckt hatte. Ich rief Renias Namen, aber erst war Stille, und dann hörte ich, wie Albina die Treppe hinter mir hochging, mich begrüßte und sagte, dass Renia an diesem Abend arbeiten würde, sie mir aber einen Umschlag dagelassen habe. Umständlich zerrte sie an der vorderen Tasche ihres Overalls, und als sie endlich wieder aufblickte, hielt sie einen zerknitterten Umschlag in der Hand, auf den ein Auge gemalt war, mit riesigen Wimpern und einer schwarzen Pupille. Die Kugelschreibertinte war etwas verwischt und hatte Flecken auf Albinas Fingern hinterlassen.
    Umschlag gegen Schampus, sagte ich zu ihr.
    Niemals, antwortete Albina. Umschlag gegen Schampus plus Picknickkorb plus Gesellschaft beim Abendbrot.
    Ich nickte, besiegt. Wir gingen hinüber, und während sie das Essen auf dem Tisch ausbreitete und mich danach ausfragte, wie das Treffen verlaufen sei, öffnete ich den Umschlag, holte einen gelblichen Zettel heraus und las: Morgen 16 Uhr im Elektronikgeschäft beim alten Wehrturm. SEI PÜNKTLICH. Renia.
    Was, bitte, soll ich in einem Elektronikgeschäft? Was für ein Wehrturm?
    Aha. Albina nahm mir den Zettel aus der Hand und führte ihn zu ihrer Nase, schloss die Augen und sagte: Patchouli. Soso. Hast du mit Renia über ihren Job geredet?
    Habe ich. Albina rollte mit den Augen und sagte, dass Demoiselle Mayas Parfum unverkennbar sei, von ihr stamme die Nachricht, auch wenn Renia sie geschriebenhabe. Ihre letzte Bekanntschaft habe Renia übrigens ganz ähnlich ins Varieté geschleust. Ob ich mir das auch gut überlegt hätte? Nicht alle würden so etwas vertragen. Renia

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