Ambra
bereithalten!
Zur Kompanie gehörten mal fünf, mal sechs, mal acht Mitglieder, je nach Konrads Launen und Bedürfnissen.Nur ein Junge war zugleich immer und doch nie Mitglied der Kompanie: Marian, der sich mit seinen zarten Händen stets verletzte, wenn die Kompanie eine Hütte baute, der sich eine Lebensmittelvergiftung zuzog, wenn sie eine Delikatesse aus dem Mülleimer einer Schänke herausgefischt hatten, und der eine Lungenentzündung bekam, wenn sie eine Nacht draußen im Freien verbrachten.
Die anderen Mitglieder stöhnten, wenn sie sahen, dass Marian auf sie zugetrabt kam, aber Konrad zuckte nur mit den Schultern. Keiner von ihnen mochte ihn leiden, sein Lächeln und seine hellen Augen verwirrten sie, und selbst Konrad sprach kaum mit seinem Bruder, wenn er bei der Kompanie war. Er duldete ihn nur, weil er wusste, was sonst mit Marian geschehen würde: Die Kompanien der anderen Viertel würden ihn aufgreifen, an einen geheimen Ort entführen und ihm Moos und Steine in den Mund stopfen, so wie es schon einmal geschehen war. Damals hatte nicht nur Marian, sondern auch Konrad Prügel vom Vater dafür bekommen, dass so etwas hatte geschehen können. Seitdem wurde Marian bei den Streifzügen geduldet.
Es war an einem Tag im Herbst, dass Konrad ohne seine Kompanie im Innenhof bei der Hundehütte saß und den Schäferhund streichelte. Er schien auf etwas zu warten, immer wieder ging sein Blick hinaus zur Pforte, glitt auf die Straße und wieder zur Pforte. Der Hund hechelte, legte seinen Kopf in Konrads Schoß und hob ihn erst wieder, als Marian über den Hof kam. Marian hielt etwas in der Hand, das Konrad erst erkannte, als er vor ihm stehen blieb. Sofort ließ er den Hund los und stand auf.
Vaters Bernstein.
Er nahm den Anhänger an seiner Silberkette aus Marians Hand, in der Sonne glühte er auf. Im Gegenlicht war deutlich das winzige Körperchen der Spinne zu erkennen. Ihre Beine waren so verrenkt und nach vorne gerichtet, als hätte sie noch im letzten Moment versucht, den Harztropfen von sich zu schieben.
Was machst du damit?
Er hat ihn mir geschenkt, stell dir vor.
Marians Wangen waren vor Aufregung rot geworden, Schweiß glänzte auf seiner Stirn, wie immer, wenn er dem Vater begegnet war. Es war das erste Mal gewesen, dass der Vater ihm etwas geschenkt hatte, und zwar ausdrücklich ihm und nicht Konrad. Das hatte er ihm richtig eingebleut: Das, Marian, ist dein Anhänger, du bist sein nächster Träger, und du darfst ihn unter keinen Umständen abgeben. Hörst du, er darf nicht in Konrads Hände gelangen. Marian hatte zwar nicht begriffen, warum er ihn Konrad nicht einmal ausleihen durfte, hatte sich aber so über das Geschenk gefreut, dass er sich nicht getraut hatte nachzufragen.
Du wirst ihn doch nicht etwa tragen? In Konrads Kopf rotierte es. Er wusste, dass sein Vater ihn bevorzugte, er gab ihm sogar heimlich Geld, ohne der Mutter oder Marian etwas davon zu sagen. Warum hatte also nicht er den Stein bekommen? Er war schließlich der Ältere und der Stein ein Erbstück …
Klar werde ich ihn tragen, sagte Marian, nahm seinem Bruder die Kette aus der Hand und legte sie sich um den Hals. Stolz hatte es ihn gemacht, dass sein Vater ihn wenigstens einmal dem Bruder vorgezogen hatte, so stolz, dass er sich gar nicht gewundert hatte, warum Konrad alleine im Innenhof saß. Auch dass neben ihm ein Säckchen mit Nägeln und mehrere Hämmer lagen,fiel Marian erst jetzt auf. Schon wollte er fragen, wo denn die Kompanie sei, da schien ihm etwas einzufallen. Plötzlich sah er Konrad ungläubig an, rieb sich die Stirn, auf der erneut der Schweiß schimmerte, und stöhnte leise auf.
Was ist, fragte Konrad und wog in seinen Händen ein paar Nägel, aber Marian antwortete nicht. Unentwegt hielt Marian den Blick auf seinen Bruder gerichtet, so lange, bis Konrad ihn zur Seite schubste und ihn fragte, ob Marian seine Zunge verschluckt habe. Dann nahm Konrad das Säckchen und die Hämmer, warf einen letzten Blick auf den Bernstein an Marians Hals und lief aus dem Hof hinaus auf die Straße. Warte, wollte Marian rufen, aber seine Stimme versagte, ganz so, als hätte er tatsächlich seine Zunge verschluckt. Als er wieder zu sich kam und zur Pforte rannte, war Konrad bereits um die Ecke gebogen und nicht mehr zu sehen.
Er setzte sich auf die Stelle, an der Konrad vorher gesessen hatte, und fragte sich, wohin sein Bruder wohl gegangen sein mochte. In den letzten Tagen hatte es in der Kompanie keine neuen Pläne
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