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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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Finanzen, Kleine, sondern für dein Köpfchen. Benutze es doch mal. Künstler mit Phantasie kann ich immer gut gebrauchen. Und jetzt besonders, da wir einen Ausfall haben. Hast du schon mal auf einer Bühne gestanden?
    Klirrend stellte ich meine Tasse auf dem Tisch ab, neben die Untertasse. Nein, ich hätte noch nie auf einerBühne gestanden, sagte ich, aber überhaupt müsse es sich hier um ein Missverständnis handeln, was solle ich denn schon vorführen, ich sei schließlich keine Zirkusartistin. Ihr Ausfall tue mir leid, aber ich könne ihr überhaupt nicht helfen.
    Da stieß sie mich an der Schulter, tat belustigt und sagte, dass ich mich nicht so zieren und es einfach mal vorführen solle. Na: Was mir denn so in den Kopf käme?
    Ach, sagte ich. Jetzt erst begriff ich. Die Sache war mir mehr als peinlich. Hoffentlich war Maya die einzige Person, der Renia von unserem Gespräch erzählt hatte.
    Sie irren sich. Das funktioniert nicht auf Knopfdruck, nur manchmal kommt es über mich, bei manchen Personen stärker, bei manchen schwächer.
    Dann übe, antwortete Maya. So hat es bei Renia auch angefangen. Wir verfügen über eine illustre Runde von Stammgästen. Die Bezahlung ist recht gut. Denk darüber nach. Mir persönlich ist es übrigens herzlich egal, worum es sich handelt. Meinetwegen erzähle den Leuten irgendwelche Märchen, die sie dir glauben. Meinetwegen sei ein Weltwunder. Das Einzige, was zählt, wenn du für mich arbeiten willst: Reiß dich zusammen. Und mach eine gute Arbeit.

4.

    Vor Zeiten gab es einen Tischler, der hatte zwei Söhne: Marian und Konrad. Konrad aber liebte er mehr als Marian.
    Über fünfzehn Jahre waren vergangen, seitdem der Tischler mit seiner Familie in die Stadt am Meer gekommen war. In dieser Zeit hatte er sich mit seiner Frau gestritten und wieder versöhnt, seine Söhne waren herangewachsen und er selber hatte viele Jahre in der Tischlerei gestanden und gearbeitet. Einige Jahre war er im Krieg gewesen, im großen, der sich über die Welt gezogen hatte, und diese Jahre waren mächtiger gewesen als die Jahre daheim bei seiner Familie. Als er aus dem großen Krieg wieder zurückgekommen war, mochte er kaum noch ein Wort sprechen, und es gab Tage, da er gar nicht hoch in die Wohnung kommen wollte, sondern es vorzog, in der Werkstatt zu bleiben. Seine Frau Magda hatte ihn mehrmals gefragt, ob er vielleicht lieber zurück auf das Land zöge, wo es Ruhe gab und Frieden, aber er hatte nicht geantwortet, sondern nur den Kopf gehoben und gesagt: Friede, Weib, den gibt es nirgends.
    So waren die Mischas in der Stadt geblieben, der einzigen Welt, die Marian und Konrad sich vorstellen konnten, einer dichtgedrängten Welt aus Backstein, dem Kreischen der Möwen, dem Rattern und Schnaufen der Züge auf dem Güterbahnhof, den gebrüllten Befehlen, die vom Gelände der Kaserne aufstiegen, dem Klappernder Droschken, den Schreien der Marktfrauen, dem Kreischen der Katzen, die sich über das Kopfsteinpflaster der Altstadt jagten, und schließlich dem Glockengeläut, das, je nach Windstärke, mal ohrenbetäubend laut, mal entfernt und leise von den Kirchen herüberklang. In der Schule blickten Marian und Konrad mitleidig herab auf die Kinder, die jeden Morgen mit der Bahn aus den umliegenden Dörfern in die Stadt fahren mussten: Nach Heu rochen die, nach der Leibeswärme von Tieren und Großmüttern, nach Schlaf und nach frischer Milch, die sie in kleinen Kannen dem Lehrer mitbrachten.
    Jedes Mal, wenn ihre Mutter ihnen etwas von ihrer ursprünglichen Heimat draußen im Wald erzählen wollte, vom Fluss und dem Wassermann, der in ihm wohnte, liefen sie rot an und kratzten sich hinter den Ohren: Ihre Scham und Bestürzung über ihre Herkunft gehörten zu den wenigen Dingen, die sie verbanden. Konrad war mittlerweile größer als sein Vater, dürr und mit braunem, drahtigem Haar. Marian hingegen geriet nach seiner Mutter, rundlich, mit weichem Gesicht, hellen Locken und Sommersprossen. In der Schule und während der langen sommerlichen Nachmittage war Konrad stets umgeben von mehreren Halbstarken aus der Nachbarschaft,
der Kompanie
. Konrad überragte alle und hatte sich einen scharfen Tonfall angewöhnt, wie er ihn aus der Kaserne ein paar hundert Meter weiter gehört hatte. Ihm selber und den anderen imponierte es sehr, wenn sie nach der Schule nach Hause gingen und Konrad sagen hörten: Plan für heute Nachmittag! Kosmowski, Butterbrot! Scheile, zeitig einfinden! Schmidt und Grynberg,

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