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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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letzten Wochen kaum eine Gelegenheit ausgelassen, ihre neue Nichte zum Kaffee einzuladenund sie so lange mit selbstgebackenen Keksen und Biskuitrollen zu traktieren, bis beide Seiten eine gewisse Sympathie füreinander entwickelt hatten und der Zwischenfall mit den kaschubischen Gänsen schließlich in Vergessenheit geraten war.
    Die Härchen des dunkelroten Brokatvorhangs reflektierten das Licht der Glühbirne, die an der Decke des Vorraums hing. Eine weiße Motte stob auf, als die Tür hinter Renia und Kinga langsam ins Schloss fiel und einen letzten Luftzug durchließ. Nackter Beton, an den Wänden wie auf dem Boden. Bis auf einen Schaltkasten und einen Feuerlöscher war der Raum leer. Gedämpfte Stimmen waren zu hören, jemand räusperte sich. Obwohl Kinga bereits alle Künstler vom Sehen kannte und mehr als einmal an diesem Ort gewesen war, hätte sie am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht. Schließlich gab sie sich einen Ruck und zog den Vorhang so zur Seite, dass Renia als Erste hindurchschlüpfen konnte.
    Im Zuschauerraum war es dunkel. Es roch nach verloschenen Wunderkerzen und einem Aftershave mit Moschusnote. An irgendetwas erinnerte Kinga dieser Geruch – hatte ihr Vater ein ähnliches Aftershave benutzt? Kinga wischte ihre Handflächen an der Hose ab. Noch war keiner der geladenen Gäste eingetroffen. Vor ihr, im Halbkreis, gruppierten sich etwa hundert gepolsterte Stühle um die Bühne. Dazwischen standen kleine Tische mit Aschenbechern, Notizbüchern, Gläsern und Schreibtischlämpchen. Die Bühne selber maß kaum zehn Quadratmeter, sie war gerade groß genug, um ein, zwei Personen und ein paar Requisiten zu beherbergen. In ihrer Mitte stand ein Kleinwüchsiger im Frack, der seinen Zylinder abnahm und sich verbeugte, als Kinga ihm ein schüchternes
Hallo, Przemek
zurief.
    Auf dem Weg zur Tapetentür, die nach hinten in die Umkleideräume führte, stieß sie mit einem Mann zusammen, dessen Name ihr partout nicht einfallen wollte. Wenn sie sich richtig erinnerte, handelte es sich um etwas Italienisches, aber ganz sicher war sie sich nicht. Auch er war elegant gekleidet, sein schütteres Haar penibel nach hinten gekämmt. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass er ein Glasauge hatte.
    Ihr seid spät dran, sagte er. Die Demoiselle pflegt heute schlechte Laune zu haben. Besser, ihr zieht euch um. In zwanzig Minuten geht es los.
     
    Maya trug an diesem Abend eine schwarze Perücke, um deren korrekten Sitz sie sich verblüffenderweise kaum scherte. Als das Publikum einströmte, thronte sie bereits auf der Bühne. In der einen Hand hielt sie eine Elfenbeinspitze mit Zigarette, in der anderen einen Martini. Vorsichtig führte sie das Glas zum Mund. Als alle saßen, stand sie auf und begann zu reden. Sie wirkte gelangweilt, so sehr, dass sie nicht einmal Tilmann Kröger bemerkte, der in der ersten Reihe Platz genommen hatte und ihr unauffällig zuwinkte. Kaum dass er den Saal betreten hatte, hatte sich Kinga in den Sessel neben ihn gleiten lassen. Sie war so nervös, dass sie ihn nicht sofort erkannte. Trotz der aufgeplatzten Äderchen auf ihren Wangen, dem jungenhaften Kinn und dem nachlässig hochgebundenen kastanienbraunen Haar, wirkte sie beinahe attraktiv. Das Kleid allerdings, für das sie sich entschieden hatte, hing schief an ihren Schultern herunter und entblößte ihre kräftigen Oberarme. Angestrengt blickte Kinga zu Demoiselle Maya hinauf.
    Da seid ihr also, liebe Interessengemeinschaft desAbsonderlichen. So pünktlich wie ihr seid, ist euch wohl einmal die Woche noch zu selten, was? Oder zu kurz? Vielleicht würdet ihr am liebsten die ganze Nacht hier bleiben und Maulaffen feilhalten, euch ergötzen am Nichtverstehen?
    Während Maya an ihrer Spitze zog und den Rauch in Richtung der ersten Reihe blies, runzelte Kinga ihre Stirn. Die Ansprache schien ihr unangenehm zu sein, sie drehte sich um und blickte in die Gesichter der Zuschauer hinter sich, als suchte sie Bestätigung für ihre Irritation. Nirgends zeigte sich die kleinste Regung. Man kannte Demoiselle Mayas Kapriolen zur Genüge.
    Wie dem auch sei. Das Collegium ist um eine Disziplin reicher geworden. Begrüßt mit mir zusammen Kinga, die eure Gedanken lesen und euer Bewusstsein entschlüsseln wird, der keine Ecke eurer Gedanken fremd sein wird, die euch besser kennen wird als eure eigene Mutter.
    Kinga stand kurz auf, ein paar Leute klatschten. Das Blut schoss ihr in die Wangen. Sie schien erleichtert, als Maya weiterredete und sie sich wieder

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