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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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nickte, als müsse sie bestätigen, was sie eben selber gesagt hatte.
    Bewegt ist gut, antwortete Bronka. Anfangs hatte sich gar nichts bewegt, deswegen ist es ja auch losgegangen. In den Läden und auf den Straßen gab es nichts, rein gar nichts, und wenn es etwas gab, dann war es überteuert, das kannst du dir nicht vorstellen.
    Wir haben aber nicht nur für Fleisch und Zucker gestreikt. Oder nur für uns.
    Brunon machte eine kurze Pause und fasste Kinga am Arm.
    Wir haben für den Frieden gekämpft. Hier und anderswo.
    … und dann kommt der eigene Sohn und muss aus der Reihe tanzen, sagte Bronka. War ihm nicht genug, das zu tun, was sein Vater auch schon getan hatte. Wollte höchstpersönlich hinaus in die Welt.
    Da gibt es aber schönere Berufe, um hinaus in die Welt zu kommen. Kinga betrachtete die Gruppe von Ausflüglern, die sich bereits um das Tor geschart hatte. Sie alle trugen Jeans und schwarze Daunenjacken, einzigihre Mützen unterschieden sich und schienen einander an Farbenpracht und Albernheit überbieten zu wollen.
    Hab du mal Kinder und versuch, ihnen etwas zu sagen.
    Brunon blickte voller Ingrimm auf eine pink geringelte Mütze mit orangefarbenem Bommel. Es schien, als wolle ihm Kinga darauf antworten, aber dann beschränkte sie sich darauf, verständnisvoll zu nicken und Bronka ein mitleidiges Lächeln zu schenken. Was ging es die beiden alten Leutchen auch an, dass sie nie im Leben geplant hatte, Kinder zu bekommen; ein biologischer Mechanismus, den sie als Akt tiefster Unterwerfung und Selbstbeschneidung empfand. Schon als kleines Mädchen hatte sie alle Babypuppen, die ihr Vater ihr geschenkt hatte, in das Holztruhenmassengrab im Flur versenkt und nur hervorgeholt, wenn sie Besuch von anderen Mädchen bekam, die unbedingt mit ihnen spielen wollten.
    Nur einer Puppe war dieses Schicksal erspart geblieben, vielleicht, weil sie kein Baby mehr war, sondern eine junge Dame, mit wallendem braunem Haar, blauen Augen und so roten Lippen, dass man seinen Mund fest darauf pressen wollte.
     
    Der Bus fuhr vor. Irgendwo hatten die Veranstalter einen Bus aus den Fünfzigern aufgetrieben, ihn mit ein paar Girlanden und einem Foto von Padre Pio geschmückt. Der Tourleiter, ein Mann mittleren Alters, der behauptete, selber einmal auf der Werft gearbeitet zu haben – Blödsinn, flüsterte Brunon, etwas lauter als geplant –, kontrollierte die Tickets der Teilnehmer und ließ sie einsteigen. Die Sitze waren mit rotem Kunstleder bezogen. Ganzoben, am Fensterrand, hatte sich jemand die Mühe gemacht, eine weiße Spitzenbordüre anzukleben. Das Schildchen, auf dem
Rauchen verboten
stand, war fast nicht mehr zu erkennen, so viele Zigaretten waren darauf ausgedrückt worden.
    Die Myszas drängten sich bis ganz nach hinten und belegten zwei freie Sitzreihen. Kinga setzte sich ans Fenster, Bronka neben sie, und so blieb Brunon nichts anderes übrig, als sich mit der hinteren Reihe zu begnügen. Ein schwedischer Tourist ließ sich neben ihn fallen und begrüßte ihn mit einem freundlichen
Hej
. Brunon nickte ihm kurz zu und versuchte dann, sich aus seinem Mantel zu befreien. Bronka beugte sich zu Kinga.
    Sag mal, hast du dich in letzter Zeit mit Bartosz getroffen?
    Kinga schüttelte den Kopf. Nein.
    Ich hätte es ahnen müssen. Bronka flüsterte so leise, dass Kinga sie kaum verstand. Dann trifft er sich bestimmt mit Renia. Und mir erzählt er, er würde sich um seine arme Cousine kümmern, die niemanden hier kenne und seine Hilfe brauche. Rührende Geschichte.
    Bartosz trifft sich mit Renia? Kinga klang alarmiert. Bronkas verschämtes Lachen verlor sich in einem grimmigen Gesichtsausdruck. Allerdings tue er das. Ganz plötzlich habe es angefangen, wie aus dem Nichts heraus, und das, obwohl sie sich ja schon seit Jahren kannten. Vor einigen Wochen habe sie ein Foto von Renia bei Bartosz entdeckt. Sie selber würde sich ja jemanden – Bronka zögerte –
Solideres
für ihren Sohn wünschen.
    Bronka und Kinga ignorierten den Führer, der sie begrüßte. Der Bus fuhr an.
    Erst traute sich Kinga nicht, nachzufragen, es gab schließlich mehrere Renias in dieser Stadt, dieser Namewar nicht außergewöhnlich, warum sollte es Bartosz um genau das Mädchen gehen, um das es auch ihr ging. Aber als Bronka weiterplapperte, wurde klar: Bartosz hatte
ihre
Renia ins Visier genommen, sie war sein Ziel und er längst auf seiner Mission, und die arme Renia, scheu und schön wie ein Reh, ahnte von nichts.
    Die Ausflügler stiegen

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