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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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Nach dem Essen hatte man die Tische und Stühle an die Hauswände gestellt, so dass Platz zum Tanzen war: Mehrere Gäste hatten ihr Akkordeon mitgebracht und übertrumpften sich in ihrem Spiel, ein Nachbar, der angeblich bereits eine halbe Flasche Schnaps geleert hatte, überraschte seine Gastgeber mit glasklarem Gesang, in den der Schäferhund Hasso mit Geheul einstimmte.
    Über fünfzig Gäste drängten sich mittlerweile im Hof, und nur selten machte einer dem anderen Platz, indem er die Treppe zur Wohnung der Myszas hinaufging und Kazimierz’ Bitte nachkam, ihn zu besuchen. Auf einem Tischchen vor dessen Bett stand eine Auswahl der Speisen, die es unten zu essen gab; Kazimierz hatte jeden Streifen panierten Fleisches, jede Pirogge und jedes Stück Kuchen einmal in die Hand genommen, ohne davon zu probieren.
    Ja, sagten die Gäste, wenn sie zu ihm nach oben gekommen waren und ihm heimlich einen Schluck Bier zu trinken gaben, ja, Kasimir, jetzt hast du also beide Söhne verheiratet.
    Jedes Mal, wenn er das hörte, stach es in seiner Brust, sein Blick suchte seinen jüngeren Sohn Marian und fand ihn unten, am Rande des Getümmels. Vor allem zu den alten Kumpanen seines Bruders hielt er Abstand und plauderte lieber mit den Nachbarn, die noch einigermaßen nüchtern waren. Das Polnische, hatte Kazimierz Mysza befunden, hatte sich in Marian gebündelt und war in ihm zu voller Ausprägung gekommen, da hatte alle Erziehung nichts genützt; in zahllosen Predigten hatte er versucht, seinem Sohn zu erklären, auf wessen Seite man stehen solle, falls man sich je entscheiden müsse, aber Marian hatte immer abgewunken.
    Unten im Hof hatten mittlerweile die ehemaligen Mitglieder der Kompanie, allen voran Heinz Segenreich und Mosche Grynberg, begonnen, Konrad, der trotz einiger geleerter Bierkrüge noch immer ernst dreinblickte, zu einem Tänzchen anzufeuern. Magda Mysza, die die Not ihres Sohnes bemerkte, stand von ihrem Sitzplatz an einem der Tische auf und nahm ihn bei der Hand. Während des Tanzes flüsterte sie ihm ins Ohr, dass er seinen alten Vater besuchen solle, ganz aufgekratzt sei der, vielleicht fühle er sich nicht gut, all die Aufregung … Konrad nickte und bahnte sich seinen Weg an den Gästen vorbei, kaum dass die Musik verklungen war. Mit seinen Gedanken war er immer noch bei dem Bild, das er in der Kirche gesehen hatte. Marian. Während des Festes bemühte er sich nach Kräften, ihn zu ignorieren, das war er seiner Mutter schuldig, das wusste er. Aber seinem Vater würde er von dem Verdacht erzählen. Kazimierz würde ihn verstehen, da war er sich sicher.
     
    Nach wenigen Minuten, als Magda Mysza durch das geöffnete Schlafzimmerfenster ein Glas zerplatzen hörte und dann gar nichts mehr vernahm, wusste sie sogleich, dass etwas nicht stimmte. Noch bevor sie die Haustür erreicht hatte, erschien Konrad im Hof und wies nach oben. Er war blass geworden.
    Vater, sagte er. Er ist … Magda stieß einen Schrei aus und hastete nach oben. Auch Marian bahnte sich einen Weg durch die ehemalige Kompanie und blieb vor seinem Bruder stehen, der ihm den Weg ins Treppenhaus versperrte.
    Du bist zu spät, sagte der. Nur ich war bei Vater, als es passiert ist. Und weißt du, was seine letzten Worte gewesen sind?
    Es ließ sich niemals beweisen, dass Kazimierz Mysza seinen Sohn wirklich enterbt oder gar verstoßen hatte. Nichts solle er bekommen, weder von der Werkstatt noch von der Wohnung, das jedenfalls, behauptete Konrad, habe er kurz vor seinem Tod gesagt. Als sich herausstellte, dass Marian Mysza tatsächlich zum Katholizismus konvertiert war, schenkten die Leute Konrads Version der Geschichte Glauben.
     

    Seit Wochen hatte der Winter die Stadt am Meer fest im Griff, und auch der Eintritt ins neue Jahr schien keine Veränderung mit sich zu bringen. Der Glanz, den die Feiertage über die Stadt gelegt hatten, war verblasst, die Lichterketten waren defekt und die Weihnachtsbaumkugeln von Schnee bedeckt. Auf den Kränen der Werft und am Leuchtturm hatten sich unterarmlange Eiszapfen gebildet, und am Strand glitten Schwäne auf den Eisschollen aus, die an Land getrieben waren. Die Möwen saßen bei den verwaisten Tischen der Strandlokale und warteten auf Ausflügler, die sich erbarmen und sie mit Pommes frites und Waffeln füttern würden, aber die Einzigen, die die Strandpromenaden rauf- und runterwanderten, waren die Krähen und die Dohlen, und von denen war nichts zu erwarten.
    Nur in der Nacht zwischen den Jahren

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