Ambra
verließen die Bewohner der Stadt ihre Wohnungen, versammelten sich auf den Plätzen und entzündeten kleine Ladungen von Schwarzpulver, Magnesium, Brom, Aluminium und Schwefel. Rauchschwaden waberten über den Straßen und vergifteten die Luft, der Himmel wurde taghell, und die Tiere glaubten, die Welt gehe unter. Die Ratten verkrochensich in die tiefsten Winkel der Kanalisation, die Katzen versteckten sich in den Kellern, und die Vögel zogen sich in das Mauerwerk der Ruinen zurück. Über dem Rathaus leuchtete eine azurblaue See, über dem Neptunbrunnen blühten rote Blumen in den Himmel hinein, und den Stadttoren entwuchsen schlanke Palmen mit grünen Wedeln.
Keine zwei Tage später feierte ein neues Geschäft unweit der alten Stadtmauer seine Eröffnung. Ein schmales Schild hing über der Tür, und in gotischen Lettern stand darauf geschrieben:
Pfandleihe B. Mysza
. Die Geschäftsräume, Anhängsel der alten Stadtmauer, lagen unweit der am stärksten frequentierten Straßen der Altstadt. Die Gasse aber, die zu ihnen hinführte, war eine einzige graue Schlucht von vernachlässigten Nachkriegsbauten. Selbst der Asphalt war schadhaft und gab den Blick frei auf die darunter liegenden Pflastersteine, jedenfalls, wenn nicht Eis und Schnee darauf lagen und ganze Straßenabschnitte in eine unberührte, kaschubische Landschaft verwandelten. Ein Teil des Bürgersteigs verlief unter einem Laubengang, in dem Kinder im Sommer Verstecken spielten und Betrunkene sich vor dem grellen Sonnenlicht verbargen; jetzt aber, im Winter, war dies der einzige eisfreie Abschnitt der gesamten Gasse und ein beliebter Tauben- und Dohlenrastplatz.
Die älteren Bewohner, die sich sonst tagsüber auf der Straße und den Hinterhöfen blicken ließen, trugen meistens schwere Plastiktüten. In den kleinen Lebensmittelgeschäften am Ende der Straße konnte man frisches Brot kaufen, Würste, Kaugummi, Bananen, Karamellbonbons, Damenbinden, Zigaretten und eingelegte Gurken. Die Gasse war autark und brauchte weder den Markt an der Stadtmauer noch das große Einkaufszentrum hinterdem Kanal. Es war ein gutes Leben in der Gasse, auch wenn sich in letzter Zeit eine Galerie und ein Laden für Kunsthandwerk angesiedelt hatten und neuerdings auch diese Pfandleihe, die von den Bewohnern misstrauisch beäugt wurde. Im Erdgeschoss des vorvorletzten Hauses befand sie sich, man musste sie passieren, wollte man zum Kiosk am Ende der Straße gehen und sich ein paar Straßenbahnfahrkarten oder ein Fliederduftspray für die Toilette kaufen.
Bis vor wenigen Jahren hatte sich in jenem Erdgeschoss ein Geschäft mit Haushaltsgeräten aller Art befunden; als aber alle Bewohner der Gasse Haushaltsgeräte aller Art besaßen und sie lieber reparierten, als neue zu kaufen, ging das Geschäft zugrunde. So stand der Laden leer, und niemand interessierte sich für die winzigen, dunklen Räume.
Die Fenster waren notdürftig mit einem feuchten Handtuch abgewischt worden, die Auslagen leer bis auf ein paar Kissen, auf denen Freunde und ehemalige Kameraden von Bartosz Mysza saßen und stumm ein Bier nach dem anderen tranken. Die fünfzehn überheizten Quadratmeter des Lokals waren gefüllt mit etwa fünfzig schwitzenden und schlecht angezogenen Personen. Als Tilmann Kröger als der einundfünfzigste Gast eintraf, passte er gerade noch in den Raum hinein. Zigarettenrauch und laute polnische Popmusik füllten die Luft über den Köpfen der Leute.
Zwischen der Handvoll Kameraden, die Bartosz eingeladen hatte, und den Leuten, die aus dem Varieté herübergekommen waren, verlief eine unsichtbare, aber von allen respektierte Demarkationslinie: auf der einen Seite die Männer vom Militär, auf der anderen dieKünstler aus dem Varieté. Sie waren trotz Kingas unrühmlichem Ausscheiden aus dem Collegium gekommen: Hinter vorgehaltener Hand munkelte man, Maya habe Kinga in hohem Bogen gefeuert, auch wenn sich keine von beiden dazu jemals geäußert hatte.
Die Soldaten hielten ihre breiten Kreuze gerade, die kahlgeschorenen Köpfe immer bereit, beim geringsten plötzlichen Geräusch hochzuschnellen, egal, wie viele Liter Bier sie schon intus hatten. Trugen sie allesamt graue Jeans, schwarze Jacken und schwere Stiefel, so zeigten sich Mario, Przemek und der Rest der Theatertruppe auf der anderen Seite der Front in allen Farben des Regenbogens, bevorzugt in schillernden und glänzenden Stoffvarianten. Przemek hatte, wahrscheinlich, damit man ihn im Gedränge nicht übersah, ein
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