Ambra
dir.
Ich hatte die Lust verloren, die Problematik des Lebens in diesem Wind und der Kälte zu diskutieren und schlug vor, dass wir endlich nach unten gehen sollten, zu uns in die Küche, wo es warm war und Tee gab. Der Glühwein rumorte in meinem Magen, ich musste dringend etwas essen, bevor ich ins Collegium aufbrach. Bartosz nickte gedankenverloren. Kurz vor dem Haus aber hielt er mich am Arm fest und sagte, dass er eigentlich lieber ungestört mit mir sprechen wolle. Das Licht in der Küche brannte, drinnen würde es warm sein, gemütlich, meine Decke lag bestimmt noch über dem Holzstuhl, auf dem Herd stand sicher noch etwas Suppe. Ich rollte mit den Augen und lehnte mich gegen den Zaun.
Lass mich raten: Du willst auswandern. Zu deinen Schwestern nach Schottland. Und jetzt brauchst du jemanden, der es deinen Eltern steckt.
Quatsch. Ich will mein eigenes Geschäft aufmachen.
Bartosz schwieg. Als meine Nachfrage ausblieb, ergänzte er eilig, dass es eine Pfandleihe werden solle, ich wisse schon, Kleinkredite gegen Sicherheiten, Schmuck, Juwelen und so, er hätte sich da ein kleines Kapital angespart, das wolle er investieren, und jetzt endlich habe er den idealen Ort für sein Vorhaben gefunden. Na ja, eigentlich habe ihn Renia gefunden. Ich würde ihn doch sicherlich kennen: den kleinen Laden vor dem Varieté.Marios Welt. Renia habe sich erkundigt, ihre Chefin würde ihn für wenig Geld vermieten. Und wenn man sich schnell einen Kundenstamm erschloss, konnte es ein überaus lukratives Geschäft werden. Nichts bräuchten die Polen so sehr wie Geld, und er würde es ihnen geben. Gegen Zinsen, versteht sich.
Aha, sagte ich. Und was habe ich damit zu tun?
Ich hatte noch nicht verstanden, worauf er hinauswollte. Damals, im ersten Moment, hätte ich ihn gleich auslachen, ihm das Ganze ausreden sollen, und zwar ernsthaft. Ich hätte ihm sagen sollen, was für eine bescheuerte Idee eine Pfandleihe sei, sagen, dass die Katastrophe vorprogrammiert sei, immerhin war er kein Experte in Finanz- oder Kreditfragen, war kein Juwelier und kein Antiquitätenhändler, dass ihn nichts dafür qualifizierte … In diesem Moment jedenfalls fiel mir nur ein, ihn zu fragen, ob er verrückt geworden sei. Bartosz schüttelte den Kopf.
Ich habe mir das alles ganz genau überlegt. Verrückt wäre es nur, wenn man über keine Sicherheit verfügen würde, was die Leute und ihre Gegenstände angeht, ob sie echt sind, ob sie sie wieder abholen … Man müsste quasi in ihre Köpfe hineinschauen können. Und jetzt kommst du ins Spiel.
Was mache ich? Ich stieß mich vom Zaun ab, glaubte, mich verhört zu haben. Wieso ich, und nicht Renia?
Renia? Renia kann eine Menge, aber keine Gedanken lesen. Jedenfalls nicht von Lebenden. Nein. Mit
dir
im Boot will ich die Pfandleihe aufmachen. Wir werden Geschäftspartner. Ich sorge für das Kapital und den Raum, und du durchschaust unsere Kunden. Komm schon, das ist die Chance, aus diesem Theater rauszukommen.
Ich antwortete, dass ich mir gar nicht so sicher sei, obich da wirklich rauskommen wolle, klar, die Bezahlung sei schlecht und die Arbeitszeiten auch, aber … darauf schien er gewartet zu haben. Sofort holte er einen zerknitterten Zettel aus seiner Anoraktasche und rechnete mir vor, welche Gewinne seine Pfandleihe abwerfen könne, wie unsere Gehälter sein könnten. So ein solides Familiengeschäft sei doch nicht zu vergleichen mit diesem Etablissement, in dem ich jetzt arbeitete. Ich schaute auf die Zahlen auf seinem Zettel. Das war nichts als Theorie, das sagte ich ihm auch, er nickte und fing sofort wieder an, von seinen Analysen zu erzählen.
Unwahrscheinlich, dass ich mich schon an diesem Abend entschieden hatte, dafür war ich zu müde, dafür fror ich zu sehr und war zu lustlos. Der erste Schritt aber wird es gewesen sein, der Samen war gesät.
6.
Es war einmal ein junger Tischler, der beinahe zu seiner eigenen Hochzeit zu spät gekommen wäre. Dabei befand sich die Kirche, in die er die Gäste geladen hatte, kaum einen Steinwurf von seinem Elternhaus entfernt, und wenn man sich beeilte, konnte man die Entfernung in weniger als einer Minute zurücklegen. Konrad Mysza sagte später, er sei so schnell gerannt, dass er nur wenige Sekunden gebraucht habe, aber geglaubt hatten ihm nur die Betrunkenen, die noch während der Feier im Hof unter die Tische gesackt waren und ebenfalls glaubten, dass Hasso, der Schäferhund, in Wahrheit ein entlaufener Zirkusbär sei, der leider all seine
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