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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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unterschreiben und somit, genau wie Konrad, ein Mischa zu werden. Hatte man doch gesehen, was mit denen geschah, die entweder gar nicht die Möglichkeit bekamen, Deutsche zu werden, oder die es rundheraus ablehnten: Sie verschwanden aus ihren Wohnungen und wurden nie wieder gesehen. Da waren zum Beispiel die Michaliks von nebenan, die Piotrowskis vom Ende der Straße oder die Malcherczyks, die vor nicht allzu langer Zeit einen Esstisch in Konrads Tischlerei in Auftrag gegeben hatten – sie alle waren verschwunden, bei Nacht undNebel, und niemand wusste, wo sie sich jetzt befanden und was mit ihnen geschehen war.
    Mit der nächsten Wehe kam der Hass. Hass auf diese Stadt, auf diese Welt, auf die grauen Uniformen, die aus Menschen Mäuse machten, und auf all jene, die sie sich nur allzu bereitwillig überzogen. Lilli schrie, und Agnieszka nickte, ja, es verlief alles, wie sie es von zu Hause kannte.
    Noch musst du sie einfach kommen lassen, sagte sie, und als die Wehe nachließ, brühte sie sich und Lilli einen Tee aus Himbeerblättern auf. Draußen meinte Lilli wieder, die Jungen singen zu hören, und ihr wurde schlecht, wenn sie daran dachte, dass sich ihr Kind ebenfalls eines Tages diese lächerliche Kinderuniform anziehen würde.
    Vielleicht, überlegte sie, vielleicht wäre es besser, ein Mädchen zu bekommen, aber da erinnerte sie sich an die Lager der Mädchenbünde, und, noch schlimmer, an die Frauenschaft, zu deren Veranstaltungen sie schon seit mehreren Wochen nicht mehr gegangen war, vermeintlich wegen der fortgeschrittenen Schwangerschaft. In Wirklichkeit schmerzte sie es zu sehr, mit der Tram an all den Geschäften vorbeizufahren, in denen sie früher gerne eingekauft hatte, dem Haushaltswarenladen von Herrn Melchersohn, dem Bekleidungsgeschäft von Frau Grynberg – denn wo vor dem Krieg noch reiche Auslagen die Schaufenster geschmückt und sich trotz aller Schikanen noch Bürger gefunden hatten, die ihren Stammgeschäften treu blieben, da klafften nun dunkle Löcher hinter den zerbrochenen Scheiben, und die Besitzer, so munkelte man, waren wahrscheinlich genau am selben Ort wie die Polen, die eines Tages aus der Stadt verschwunden waren.
    Das ist nicht recht, sagte Lilli.
    Doch, doch, antwortete Agnieszka, die nicht ahnte, worum es Lilli ging, und flößte ihr etwas Tee ein.
    Es dauert ein paar Stunden, und dann ist es vorbei, du wirst schon sehen.
    Der Tee schmeckte bitter, Lilli schüttelte sich und wandte den Kopf ab. Es beschämte sie, wie freundlich die junge Polin zu ihr war, nach allem, was in der Familie und in der Stadt geschehen war. Immerhin, dachte sie, hatte Agnieszka ihren Mann behalten dürfen, das war mehr, als sie von sich behaupten konnte. Ob sie Konrad jemals wiedersehen würde, konnte ihr nicht einmal die heilige Margarete sagen, zu der sie in den letzten Tagen immer wieder gebetet hatte, wenn sie gespürt hatte, wie sich der Bauch senkte und das Kind sich drehte. Ein Kriegskind, dachte sie, was hatte ein Kriegskind schon vom Leben zu erwarten, so hatte sie es sich für ihr Kind nicht gewünscht, in der lauen Sommernacht vor neun Monaten, als die Welt noch ganz war und fest in ihren Fugen saß.
    Lass uns beten, sagte Agnieszka, als der Tee ausgetrunken war. Sie faltete ihre Hände und sank vor dem Bett auf die Knie.
    Gegrüßet seiest du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.
    Nach drei weiteren Kannen Himbeerblättertee, fünf Stunden und sieben Presswehen, kurz bevor Marian von seiner Schicht nach Hause ging, nach Einbruch der Dämmerung und dem Einsetzen des Amselgesangs in den Apfelbäumen, aber knapp vor dem abendlichen Glockengeläut der großen Backsteinkirche, kam EmmerichKonrad Mischa auf die Welt – etwas zu klein, etwas zu mager, aber mit allem ausgestattet, was er brauchen würde, um sich in dieser Welt zu behaupten.
     

    Breit ist der Strand im Osten der Stadt, abgelegen und einsam, zumindest an den kühleren Tagen im Frühling, wenn sich die Ausflügler noch für die Museen und gegen die Natur entscheiden. Breit und abgelegen und einsam und wie gemacht für einen Mysza, der es nicht mehr schafft, sich um sein eigenes Geschäft, seine Familie oder gar um seine deutsche Verwandte zu kümmern, die vor Überforderung und Verzweiflung immer dünner und dünner wird, einen Fehler

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