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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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stolperte Tokarczuk über etwas, das aussah wie eine kleine Pyramide, dahinter hatte jemand einen Kanal gegraben oder etwas, das aussah wie der Verlauf einer Straße, daneben unförmige Sandhügel, die aber vielleicht schon vorher da gewesen waren … Noch ein paar Schritte weiter, der Mann war keine zehn Meter mehr entfernt, da stolperte Tokarczuk erneut, gab einen unbestimmten Laut von sich und fiel in eine Grube, die etwa einen Meter tief und einen halben Meter breit war, und als Tokarczuk seine Augen wieder öffnete, sah er ein Kreuz aus Treibholz über sich prangen, außerdem die Sonne, die seine Grube ausleuchtete. Ein unrasiertes Gesicht schob sich vor die blendende Scheibe.
    Was machen Sie denn da? Beinahe hätten Sie alles zerstört.
    Tokarczuk stammelte eine Entschuldigung und ergriff die Hand, die sich nach ihm ausstreckte. Oben angekommen, strich er den Sand von seiner Jacke. Der Mann neben ihm war unrasiert, roch nach Schweiß, aber abgesehen von seinem unruhigen Blick und der Schaufel, die er in seiner rechten Hand hielt, schien er ungefährlich. Kurz vor der Stelle, an der der Strandhaferbewuchs stärker wurde, bemerkte Tokarczuk ein gutes Dutzend der Treibholzkreuze und längliche Hügel, die sich vor ihnen ausbreiteten. Es ärgerte ihn, dass er sich entschuldigt hatte. Ein grauer, beinahe hüfthoher Mischling kam kläffend über die Düne gerannt. Er fragte, ob das sein Hund sei, das hier sei nämlich kein Hundestrand, und dann sagte er: Man hat sich schon über Sie beschwert.
    Wir befinden uns auf besetztem Gebiet.
    Tokarczuk glotzte ihn an.
    Mein Name ist Bartosz Mysza, sagte der Mann. Und hiermit fordere ich Sie auf, Ihren Hintern runterzubewegen vom Grab meines Kameraden.
    Keine Minute zu früh kam eine junge Frau den Strand entlanggerannt, die wie wild mit den Armen fuchtelte, gerade als Tokarczuk begonnen hatte, mit seinem rechten Fuß eine der Pyramiden zu zertrampeln und Bartosz nach dem Kragen seiner Jacke griff.
    Halt! Stopp! Tun Sie das nicht! Überrascht hielten die beiden Männer inne. Die Frau war vor den beiden zum Stehen gekommen, ihre Augen tränten ein wenig vom Wind und der salzigen Luft. Bartosz schien zu erschlaffen, seine Schultern sackten ein wenig ein, Cudny stupste ihm mit der Nase in die Kniekehle.
    Was
machst
du hier?
    Renia wischte sich mit dem Ärmel ihrer Strickjacke über die Nase.
    Kennen Sie diesen Mann? Tokarczuk zeigte auf Bartosz, zwischen dessen Augenbrauen sich augenblicklich zweieinhalb Falten gebildet hatten. Er belästigt die Badegäste und verletzt die Strandordnung.
    Sie müssen meinen Freund entschuldigen. Wissen Sie, er ist einer der bedeutendsten Sandkünstler Polens, hat schon für viele Sandfestivals Burgen, Figuren und so weiter gebaut, so was kennen Sie doch, oder? Jetzt im Sommer findet es wieder statt, sehen Sie, und wenn auf jemandem so viel Erfolgsdruck lastet wie auf Bartosz Mysza hier, dann ist man eben darauf angewiesen, dass man in einer ruhigen Ecke, unbeobachtet vom Publikum, seine neuen Techniken ausprobieren darf …
    Tokarczuk blickte zweifelnd auf die Gruben, Hügel, Straßenzüge, die sich über den Strandabschnitt zogen,und hob schließlich die Hände, als würde er kapitulieren.
    Kunst also, sagte er, als er sich auf den Weg zurück zum Kiosk machte. Vorne am Tresen bemerkte er einen Mann in hummerroten Jeans, den er von irgendwoher zu kennen meinte. Aus dem Fernsehen? Aus der Zeitung? Ein Künstler auch er, vielleicht ein Schriftsteller, ja, das war es: der deutsche Stadtschreiber. Als Entschädigung für die vergeudete Arbeitszeit, nahm sich Tokarczuk vor, würde er dem besonders viel verkaufen, und wenn er sich die Seele aus dem Leib tratschen musste.
     
    Als Tokarczuks Rücken hinter der Düne verschwunden war, ließ Renia ihre Tasche in den Sand fallen, stemmte ihre Arme in die Seiten und starrte hinaus aufs Meer. Bartosz legte seine Arme um sie, Renia ließ ihn gewähren. Erst als sie sich umdrehte und Bartosz’ Hand ihren Arm hinunterfuhr, wand sie sich aus seiner Umarmung heraus. Stumm betrachtete sie die Landschaft im Sand, die Straße, die Gräber.
    Geht es dir immer noch nicht besser?, fragte sie leise. Bartosz versuchte mit der Innenseite seines rechten Fußes eine Flanke der demolierten Pyramide aufzurichten und geriet aus dem Gleichgewicht. Als er sich wieder gefangen hatte, fragte er sie, ob sie etwas zu essen mitgebracht habe.
    Renia begann, in der Tasche zu kramen. Halb versöhnlich, halb besorgt berichtete sie von

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