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Ambra

Ambra

Titel: Ambra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabrina Janesch
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Otternzüchterei.
    Und worauf haben sie sich dann verlegt?
    Saufen, rief Renia fröhlich und stapfte die Düne hoch.
    Jetzt lass sie doch, flüsterte ich Bartosz zu. Ich kann gut verstehen, wenn sie nicht über ihre Familie reden will.
    Wieso, ist doch alles in bester Ordnung mit deiner Familie. Schau dir doch mal deinen prächtigen Großcousin an! Bartosz hielt die Stäbe der Windschutzplane heroisch in die Luft. Obwohl er sich wirklich bemühte, gute Laune zu demonstrieren, kam er mir auf einmal traurig vor, abgeschlagen.
    Ich legte meine Hand auf seine Schulter. Ist ja schon gut.
    Kommt ihr? Renia stand ganz oben auf der Düne und zeigte hinaus auf das offene Meer, das da draußen lag,klar und blau und endlos. Mit ein paar schnellen Schritten erklomm ich die Böschung und winkte ihr zu.
    Was? Was ist schon gut? Bartosz folgte mir, plötzlich wütend geworden.
    Ich versuchte ihm zu erklären, dass alles in Ordnung sei, aber da hörte er schon nicht mehr zu. Renia und er schauten sich kurz an, warfen alle Decken, Körbe und Planen von sich und liefen in Richtung Wasser davon. Zusammen mit Cudny, der laut kläffend seinem Herrchen hinterhergerannt war, tänzelten sie um die Wellen herum, zogen ihre Schuhe aus, Renia kreischte und spritzte Bartosz nass.
    Einen Moment lang blieb ich stehen, spürte den Wind in meinem Haar, horchte auf die Möwen und die See. Vor mir waren das Wasser und meine Freunde, und über uns nichts als die Sonne und der hohe nordpolnische Himmel.

8.

    Es trug sich zu, dass ein großer Krieg ausbrach und Menschen, die ein Leben lang Tür an Tür gewohnt hatten, einander nachstellten, sich bekämpften und zu Abertausenden in den Tod schickten. Zu jener Zeit war es entscheidend, welche Sprache man auf der Zunge führte, und so kam es, dass Zahllose gezwungen wurden, sich auf Listen einzutragen, die versichern sollten, welcher Abstammung sie waren.
    Aus Lilli und Konrad Mysza waren schon lange zuvor Lilli und Konrad Mischa geworden. Konrad, pflegte Lilli zu sagen, Konrad habe schon seit langem gewusst, in welche Richtung es mit dieser Stadt und mit dieser Gegend gehe; vertraute man auf Konrad, stehe man immer auf der richtigen Seite und wisse, was man zu tun habe.
    Knapp acht Monate nach Kriegsbeginn stand Lilli Mischa am Fenster ihrer Wohnung und wusste weder, welche die richtige Seite war, auf der man zu stehen, noch, was sie zu tun habe. Der Frühling war in die Stadt gekommen, in der sich seit letztem Herbst so viel verändert hatte: Zwischen die fremden Fahnen in Schwarz-Weiß-Rot hatten sich das Gelb der Forsythien und das Purpur des Flieders gemischt. Durch das geöffnete Fenster drang der süßliche Geruch der Apfelblüten, und die ersten, schwer mit Pollen beladenen Bienen ruhten sich auf dem Sims aus. Wenn Lilli ihren Kopf ein wenig beugte,konnte sie das Summen der Bienen beim Auffliegen hören, aber oft genug war das Einzige, was sie hörte, eine Gruppe von Jungen, die an den Apfelbäumen vorbei die Straße entlangmarschierte und Lieder sang.
    Lange konnte es nicht mehr dauern, sagte sie sich, gleich würde Lene, das Mädchen, das ihr zur Hand ging, seitdem Konrad irgendwo in Skandinavien kämpfte, zurückkehren und die Hebamme mitbringen. Dass ausgerechnet heute Magda Mysza eine Freundin in der nächstgelegenen Stadt besuchen musste! Sie war sich sicher gewesen, dass ihre Schwiegertochter Lilli noch mehrere Wochen von der Geburt trennten, und war mit einem Bündel getrockneter Fische und einer kleinen Packung Tee fortgefahren.
    Mit beiden Händen fuhr sich Lilli über den Bauch, und gerade, als sie zum Sofa gehen und sich hinlegen wollte, überkam sie das Gefühl, in ihrem Unterleib würde ein Ballon zerplatzen. An ihren Beinen herab rann eine durchsichtige Flüssigkeit. Sie ließ sich auf den Boden gleiten, unter das Fenster, blickte hinauf zum hellblauen Himmel und sah zwei Wolkenbänder, die sich eng aneinandergeschmiegt hatten.
    Ihr Bauch verhärtete sich, sie spürte, wie sich die Gebärmutter zusammenkrampfte, und richtete sich wieder auf. Schon überlegte sie, ob sie ihren Rock zur Seite schieben sollte, da hörte sie auf der Treppe ein Poltern, und wenige Sekunden später stand Lene in der Tür.
    Die Hebamme, sagte sie, liegt selber im Bett und hat Fieber. Aber sie meint, dass es noch nicht so weit sein kann, immerhin haben Sie noch anderthalb Monate Zeit und …
    Da ging ein weiterer Ruck durch Lillis Unterleib, sie erzitterte und bekam kein Wort heraus. Mit Lenes Hilfeschaffte

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