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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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Probono-Mandaten. Er genoss starke Unterstützung durch mehrere Fakultätsmitglieder an der Florida State University. Und es schadete auch nicht, dass er als Kind der zentralen Golfküste, die nicht gerade für studentische Spitzenleistungen bekannt war, einer geografischen Minderheit angehörte.
    Im April hielt Raff Zusagen von fast allen Fakultäten in der Hand. Zu denen, die ihn ablehnten, gehörte zuseiner Verwunderung die Emory University. Bei den Zusagen aber war auch seine erste Wahl, die Harvard Law School. Als sie von der Nachricht aus Cambridge hörten, veranstalteten seine Freunde und Mentoren eine Party, um ihn zu feiern. Die meisten kamen mit einem Paar Ameisenfühlern aus Draht auf dem Kopf. Onkel Cyrus schickte einen Glückwunschbrief, der so verzückt ausfiel, wie es der arme Schattenmann sich nur abringen konnte.
    Im Sommer, kurz vor dem Umzug in den Norden, pilgerte Raff noch einmal zum Lake Nokobee. Er umrundete ihn einmal ganz. Er machte eine Pause an der Stelle, wo, wie er wusste, einer der heimischen Alligatoren lebte, und bekam ihn sogar kurz zu Gesicht – bis auf Augen und Rücken lag er ganz unter Wasser zwischen der Entengrütze. Innerlich nahm er zur Kenntnis er, welche Bodenflora zu dieser Jahreszeit blühte, und suchte die Sumpfkiefern ab, bis er auf einmal einen Kokardenspecht erblickte, der von einem Baumwipfel zu einem anderen flog. Bevor er ging, wiederholte er noch einmal sein stilles Versprechen an den geliebten Ort.
    Eine Woche nach Labor Day fuhren Ainesley und Marcia ihren Sohn von Clayville zum Mobile Regional Airport, von wo er den ersten Flug seines Lebens unternehmen sollte. Der Flughafen war weit entfernt von dem internationalen Knotenpunkt, den Cyrus Semmes und die Gulf Gateway Coalition sich vorstellten, aber es war auch so genügend Betrieb, dass die östliche Zufahrt zum Terminal zu den am stärksten staugefährdeten Straßen der gesamten USA gehörte.
    Er flog mit Delta Airlines nach Atlanta, erschauerte vor Ehrfurcht beim Anblick des unermesslich großen Flughafens und verlief sich beinahe, als er sich den Weg biszum Abflug-Gate nach Boston bahnte. Um von einem Terminal zum anderen zu kommen, fuhr er zum ersten Mal in seinem Leben mit einem Zug.
    Als Raff in Boston den Logan Airport verließ, stand er zum ersten Mal in einer U-Bahn-Station. Es war ihm peinlich, dass er als Phi Beta Kappa der FSU und Student an der Harvard Law School nacheinander drei offiziell aussehende Personen – sie waren, fand er, alle ungeduldig und griesgrämig – nach dem Weg zum Harvard Square fragen musste. Beladen mit seinem schweren Koffer und einem übervollen Rucksack, fühlte er sich nochmals gedemütigt, dass er an der Zielhaltestelle erneut mehrere Leute fragen musste, bis er zu den Wohnheimen der Graduierten-Studenten an der Oxford Street fand. Einer seiner Informanten sprach mit einem starken indischen Akzent. Ein anderer, recht abgerissen gekleidet und offenbar verschreckt von seinem Auftreten, konnte ihm nur auf Spanisch antworten. Auf dem Weg horchte er, ob er bei den Passanten den berühmten snobistischen Harvard-Akzent zu hören bekam.
    «So was wie einen Harvard-Akzent gibt es gar nicht», erklärte ihm sein Zimmergenosse, ein schwarzer Priestersohn aus Gabon, als er es schließlich bis Richards Hall geschafft hatte. «Darum geht es hier überhaupt nicht. Willkommen in Harvard.»

31

    H arvard – die großartigste Universität der Welt, so sagten sie hier. Gewiss handelte es sich um eine weltumspannende Universität, und die hier vorherrschende Kultur unterschied sich von Clayville in einem Ausmaß, wie es sich innerhalb der USA größer gar nicht vorstellen lässt. Die Atmosphäre der Harvard University beruht nicht unbedingt auf ihren unzähligen Museen und Bibliotheken oder auf dem Labyrinth ihrer engen Straßen, sondern auf der Verdichtung von Zeit und Raum, die von einer jahrhundertealten Geschichte erzählt.
    Einen Kanonenschuss vom Cambridge Common entfernt, dem Park, in dem George Washington im Unabhängigkeitskrieg zum ersten Mal seine Truppen sammelte, liegt der Harvard Yard, wo 1969 die Studenten gegen den Vietnamkrieg auf die Barrikaden gingen.
«
Power to the people!», skandierten sie auf demselben Stück Rasen, das schon ihre Vorgänger im Hungeraufstand von 1766 niedergetrampelt hatten: «Seht, unsere Butter stinkt!» Gegenüber dem Old Yard, dem ursprünglichen College-Bau aus dem Jahr 1636, steht die University Hall, an der bei ausländischen

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