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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg auf Abruf bereitstanden und ihr Leben gaben. Sein Weg aber war es nicht. Er hatte ein grundlegendesphilosophisches Problem mit dem Ansatz, den JoLane und die anderen Gaianer bevorzugten. Er konnte den Kampf für die Umwelt nicht ohne Weiteres mit dem für die Bürgerrechte gleichsetzen. Dies war Amerika und nicht irgendein gottverlassener revolutionärer Staat. Bäume und Bären waren keine unterdrückten Völker. Irgendwie konnte, ja musste man sich im Rahmen der Gesetze durchsetzen.
    Raff begann sich nach intellektueller und emotionaler Unterstützung umzusehen, um die Kluft zu überwinden, die sich zwischen ihm und JoLane Simpson auftat. Er suchte und fand sie in einem Gespräch mit Russell Jones, dem Inhaber des Joseph-Bullard-Lehrstuhls für Umweltrecht.
    Sie trafen sich in Jones’ Büro, einem großen rechteckigen Raum über dem Cambridge Common. In eine Wand waren Bücherregale eingelassen, und an dem oberhalb davon verlaufenden Fries waren Drucke westindischer und südamerikanischer Vögel aus dem 19. Jahrhundert zu sehen. An einer weiteren Wand hingen Preisurkunden und Fotografien von Jones mit Óscar Arias, dem Präsidenten von Costa Rica, und anderen Pionieren der lateinamerikanischen Umweltbewegung.
    Jones war groß, trotz seiner sechzig Jahre noch schlank und gut genug in Form, um lange vogelkundliche Exkursionen zu unternehmen. Er hatte eine Dichtermähne aus strubbeligem schlohweißem mittellangem Haar. Vor seinem Ruf nach Harvard war er im Außenministerium als Experte für lateinamerikanische Umwelt- und Handelspolitik tätig gewesen. Er sprach fließend sowohl Spanisch als auch Portugiesisch.
    Sie nahmen sich zwei der gebührend unbequemenStühle, auf denen auf schwarzem Grund das goldene Harvard-Siegel prangte; auf dem blanken Kiefernboden verursachten sie ein kratzendes Geräusch, als sie sie vor das einzige Fenster stellten.
    «Zu einem Umweltanwalt kommen nicht gerade viele Studenten in die Sprechstunde», sagte Jones. «Die meisten interessieren sich heutzutage offenbar mehr für eines der beiden Extreme, entweder honorarfreies Engagement für die Bürgerrechte oder das große Geld an der Wall Street.»
    Raff dankte ihm für den Termin, dann beschrieb er die Situation am Nokobee. Es sah so aus, meinte er, als könnten die Bauträger gewinnen, und das unschätzbar wertvolle Erbe würde damit zerstört. «Ich möchte selbst einmal Umweltanwalt werden, aber im Moment will ich nur dazu beitragen, den Nokobee und möglichst viele weitere solche Orte im Süden zu retten. Da unten geht gerade viel kaputt. Wir können einfach nicht länger warten.»
    «Tja», sagte Jones, «Sie sind ja wirklich auf einer ganz anderen Wahrheitssuche als die meisten normalen Jurastudenten hier. Ich kann Ihnen sagen, solche Situationen sind schwierig, und besonders dort im Süden. Aber Sie haben Recht, das lässt sich innerhalb des Gesetzes lösen.»
    «Aber
welches
Gesetz?», fragte Raff. «Nehmen wir an, ein Unternehmen besitzt ein Stück Land, das eigentlich ein Naturschutzgebiet sein müsste, aber es ist abgelegen und wenig sichtbar – was kann dann das Unternehmen davon abhalten, es abzuholzen?»
    Raff wunderte sich ein wenig über sich selbst, als er die Frage stellte. Ihm war kürzlich schon aufgefallen, dass er seinen Alabama-Akzent bereits teilweise abgelegt hatte,und das besonders im Beisein von Autoritätspersonen. Unbewusst sprach er dann schneller und verschluckte beinahe die letzte Silbe einiger Wörter. Er wollte das gar nicht. Wollte er hingegen seine Herkunft betonen, übertrieb er unwillkürlich die weichen Laute der Südstaatler. Er klang, fand er, als käme er aus South Carolina.
    «Es gibt Gesetze», erklärte Jones, «und verschiedene Arten, Gesetze auszulegen.» Er unterbrach sich, um das wirken zu lassen. «Wenn bestimmte Auslegungen stark moralisch geprägt sind und öffentlich unterstützt werden, können sie sich vor Gericht durchsetzen, auch wenn Präzedenzfälle scheinbar eher gegen sie sprechen. Um das zu lernen, studieren Sie Jura, hoffe ich. Es gibt eine ganze Reihe juristischer Argumente, die man zum Schutz der Natur vorbringen kann. Und sie
können
sich durchsetzen, auch wenn man in Berufung gehen muss und, zumindest theoretisch, bis zum Obersten Gerichtshof. Ganz ähnlich wie bei einer Urteilsrevision in einem Strafprozess.»
    «Meine Güte», sagte Raff. «Das ist ja ganz schön schlimm, wenn wir die Natur vor Gericht so schützen müssen, als

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