Ameisenroman
wäre sie eine Art Krimineller.»
«Nun, denken Sie daran, dass Sie es hier mit dem Gewohnheitsrecht zu tun haben, das ist immer kompliziert und beruht stets in gewissem Grad auf moralischen Überlegungen. Und in dem Fall, den Sie beschreiben, trifft das ganz besonders zu. Das liegt daran, dass solche Streitfälle auf dem Konflikt zwischen zwei heiligen Prinzipien der Republik beruhen, dem Recht auf Eigentum und dem Naturerbe Amerikas. Wenn Ihnen ein Stück Land gehört, können Sie damit tun, was Sie wollen – aber nur bis zu einer bestimmten Grenze. Sie können es nicht so verändern, dass das öffentliche Gut Schaden nimmt. Sie dürfendort keinen Atommüll verbuddeln und auch keinen Fluss aufstauen. Ist das Gebiet für den Umweltschutz wichtig, handelt es sich um ein öffentliches Gut, das durch die Erschließung beschädigt werden könnte. Sie müssen also den Fall um den Nokobee Tract so aufziehen, dass seine Erschließung unser Naturerbe beschädigen könnte, und das in einem Ausmaß, das den dadurch erreichbaren Nutzen, etwa in Form von Arbeitsplätzen und steigenden Einkommen, übertrifft.»
«Das ist ja sehr subjektiv», warf Raff ein.
Jones nickte. «Ja, natürlich ist das sehr subjektiv. Und wissen Sie, es ist ein zähes Ringen in solchen Gegenden, die im Umweltschutz keine Vorreiter waren, wie Alabama. Und noch schwieriger wird es, wenn man es mit einem Verband wie der Gulf Gateway Coalition zu tun hat, die die Erschließung als vorrangiges öffentliches Gut ansieht. Unterm Strich gesagt, ich beneide Sie nicht.»
«Ich beneide mich auch nicht», sagte Raff.
Er stand auf, dankte dem Professor und ging hinüber in sein Zimmer in der Richards Hall. Sein Zimmergefährte aus Gabon war wieder nicht da. Er und ein paar seiner Landsleute wohnten in diesen Tagen fast schon in der Kennedy School of Government. Vielleicht planten sie ja eine Revolution, wer weiß? Raff lag auf seinem Bett und starrte eine Weile an die Decke, während er das Gespräch von eben noch einmal durchging. Tja, dachte er, ich werde wohl ein paar neue Themen angehen müssen.
Er beschloss, sich nach Fällen umzusehen, die durch Konfliktmanagement gelöst worden waren, und das besonders in den Bereichen Bundes- und Landesrecht. Er ersann eine, wie er hoffte, wirksame Methodologie. Es ging darum, durch Herausforderung
und
KonfliktbewältigungEinfluss zu erlangen. Umweltschutz durchzusetzen und zugleich – wenn irgend möglich – die Interessen der Grundbesitzer und der Bauträger zu befriedigen. Und wenn sie nicht zu befriedigen waren, musste man auf Bündnisse mit den grünen Kriegern wie den Gaianern zurückgreifen. Man musste dann darauf vorbereitet sein, Protest und Klassenkampf dafür zu nutzen, den Druck zu erhöhen. Eines aber war unverbrüchlich: niemals bereitwillig auch nur einen der wenigen wertvollen Reste unberührter Natur aufzugeben, die noch übrig waren.
Eines Abends im Lowell House beschloss Raff, seine Philosophie ein paar Mitgliedern der Gaia Force vorzutragen. Er wusste, dass er ein Risiko damit einging, den selbsternannten Bataillonen von Umweltideologen Verhandlung und Kompromiss vorzuschlagen. Es war, als würde er den Teufel mit Schneebällen bewerfen, aber er wollte sehen, wie sie es aufnahmen, und, auch das musste er zugeben, er wollte JoLane beeindrucken.
Es war eindeutig ein schlechter Schachzug. Er spürte, dass die Zuhörer unruhig waren. Noch bevor er mit seinem Vortrag fertig war, wurde er von einem Kalifornier in Chinos, der auf einem Stuhl in der ersten Reihe lümmelte, lautstark unterbrochen.
«Jesses, Mann, was soll das denn? Kleiner Appeasement-Trip, oder was? Was zum Teufel willst du eigentlich? Arbeitest du für die Bauhaie? Oder bist du vielleicht einfach bloß eine Memme. Egal, in jedem Fall bist du ein kleiner Scheißer.»
Der ganze Raum erstarrte. Raff fehlten die Worte. Das hier gehörte nicht nach Harvard. Solches Gewäsch erwartete man höchstens von irgendeinem Gernegroß aus einer Straßengang.
Eine ganze Minute lang starrten sich die beiden jungen Männer finster an. Raffs Überraschung wich rasch dem Ärger. Dann aber, seltsam, entspannte er sich. Das hier hatte er schon einmal erlebt. Als Junge in der primitiveren Welt von Clayville hatte er mehrmals Pausenhofkeilereien mitgemacht, zu denen es in der Regel kam, wenn ein Draufgänger ein anderes Kind verhöhnte. Das hielt so lange an, bis ein Lehrer oder ein älterer Junge die beiden Streithähne voneinander trennte. Häufiger
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