Ameisenroman
herzlichen Gespräch mit JoLane befand. Als sie Raff sah, brach sie es ab und kam herüber.
Raff fühlte ein Aufwallen von Eifersucht und suchte nach den richtigen Worten. Warum, dachte er, redet mein Mädchen mit diesem Idioten? Als das Gefühl nachließ, blieb aber doch ein bitterer Nachgeschmack von nagendem Groll.
Mit den Tagen wuchs Raffs Ärger, und gleichzeitig schwand sein Vertrauen. JoLane schuf weiterhin keine Abhilfe. Dann hatte sie plötzlich zu viel für die Uni zu tun, um noch Zeit für Sex zu haben. Raff versuchte, sich ihren Stimmungsumschwung rational zu erklären. Er liebte sie dafür, dachte er, dass sie jetzt so grimmig ihre Unabhängigkeit auslebte. Hatte er etwa gedacht, sie gehörte ihm? Trotzdem lag Raff jetzt manchmal schlaflos im Bett und versuchte, aus JoLane Simpson schlau zu werden. Es gab offenbar keine Möglichkeit, das Problem aus dem Weg zu schaffen und dabei seinen Stolz zu wahren.
Den Schlussstrich zog schließlich JoLane selbst. Nach einem Kaffee im Gemeinschaftsraum im Leverett House schlug sie ihm einen Spaziergang am Charles River vor. Mitten auf der Longfellow Bridge, wo sich manchmal Verliebte trafen, blieb sie stehen, und als sie auf den Fluss hinuntersahen, wandte sich JoLane zu ihm um, legte ihren Kopf schräg und küsste ihn auf die Lippen.
«Raff, ich weiß jetzt, was ich nach meinem Abschluss mache. Ich bin jetzt bei den American Friends of Haiti. Die haben eine Ortsgruppe in Harvard. Ich gehe da rüber und sehe mal, was ich für die Leute dort tun kann. Vielleicht gehe ich in die Landwirtschaft oder die Aufforstung. Weißt du, ich will was für die Umwelt tun. Undweiß Gott, das brauchen sie da. Viele Tropfen machen den Regen, oder?»
Mit dieser letzten nichtssagenden Banalität ließ sie ihn stehen und ging zurück Richtung Harvard. Das war so typisch für JoLane, dachte er. Abrupt, entschlossen, weiter im Leben. Er wusste, dass er nie wieder eine Frau finden würde, die diese Kombination aus Intelligenz, Hartnäckigkeit und Leidenschaft mitbrachte wie JoLane Simpson.
Tiefer verletzt, als er wahrhaben wollte, ging Raff nie wieder zu einem Meeting der Gaia Force. Ihm blieb die Frage, ob JoLane den coolen Kalifornier mit nach Haiti nehmen würde, und ob sie überhaupt selbst je gehen würde. Das war auch egal; er musste jetzt sein eigenes Gleichgewicht wieder finden. Mit vollem Eifer stürzte er sich wieder in sein Jurastudium.
32
M it jedem Monat, mit dem das Ende seiner Zeit in Harvard näher rückte, wurde Raff klarer, worin der wahre Vorteil des Studiums an einer Eliteuniversität bestand: in dem Potenzial der Netzwerke von Freunden und beruflichen Kontakten, die man dort aufbauen konnte. Raff musste nicht durch das Land reisen, um die richtigen Leute zu treffen. Sie kamen nach Harvard, um an Meetings teilzunehmen, Seminare abzuhalten, Bibliotheken zu konsultieren, um Kollegen zu treffen, die ebenfalls die Universität besuchten. Um in Zukunft Informationen und Unterstützung zu erhalten, knüpfte Raff jetzt Kontakte mit den Naturschutzverbänden Nature Conservancy, Sierra Club und Environmental Defense Fund. Dabei erfuhr er, wer die richtigen Ansprechpartner in den Landesjustiz- und innenministerien waren. Er schloss Freundschaften mit mehreren Fraktionsmitarbeitern in Alabama. Er sammelte Adressen und Telefonnummern von führenden Umweltschützern und ihren privaten Unterstützern in Alabama, den küstennahen Gebieten von Mississippi und dem nordwestlichen Florida.
Er lernte, wie in anderen Zusammenhängen als der Umwelt mit Konfliktsituationen zwischen privaten Rechten und öffentlichem Gut umgegangen wurde. Er wurde ein Fachmann im Gewohnheitsrecht, das sich in der ganzen Bandbreite solcher Fälle herausgebildet hatte. Erwar überzeugt, dass diese Prozeduren sich noch auf die schwierigsten Fälle in seiner Heimat an der mittleren Golfküste übertragen ließen.
Immer besser beherrschte Raff das Konfliktmanagement, er entwarf Szenarien und sprach sie mit anderen Studenten durch. Mehr denn je war er der Überzeugung, dass der klassische Konflikt Umwelt gegen Jobs sich nicht dadurch lösen ließ, dass eine der beiden Seiten einen vollständigen Sieg über die andere davontrug. Das würde den Verlierer verbittern und ihn die nächste Auseinandersetzung suchen lassen. Viel besser, aber auch anspruchsvoller war eine Übereinkunft, mit der beide Seiten leben konnten. Doch wie erreichte man eine solche Übereinkunft? Diese Nuss war eindeutig schwerer zu
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