Ameisenroman
Scooter, ich weiß nicht, was das alles soll, aber ich gehe sogar mit dir raus zum Nokobee und helfe dir, wenn du willst, sobald ich im Laden ein bisschen Zeit habe. Ich bring dir eine Schaufel vorbei.»
Raff hatte mit seinem neuen Projekt noch nicht lange angefangen, da begannen seine neuen Freunde von der Käferparty von seiner «Ameisenchronik» zu reden. BillNeedhams Engagement für das Projekt wuchs mit der Zeit, und er bereicherte Raffs Forschungen mit seinem Expertenwissen und seinen Erkenntnissen. Needham half ihm, die Beobachtungen, die er Monat für Monat machte, in den Zusammenhang dessen zu stellen, was über das Sozialverhalten anderer Ameisenarten bereits bekannt war.
18
D rei Jahre vergingen, in denen Raff zwischen Clayville und Tallahassee pendelte. Als er zwei Monate vor dem Prüfungstermin seine Abschlussarbeit vorlegte, war die Ameisenchronik zum Epos einer Zivilisation im Kleinformat herangereift. Die Schwächen der Ameisen, so lernte Raff, waren die der Menschen, freilich in einer einfacheren Grammatik verfasst. Verglichen mit dem Menschen sind die Lebenszyklen im Ameisenhügel kurz, vom Instinkt gelenkt und damit stark vom Schicksal abhängig. Die Ameisengesellschaften erwiesen sich, wie zu erwarten war, in den meisten grundlegenden Zügen als vom Menschen verschieden, sie stimmten aber in anderer, ebenso wichtiger Hinsicht mit ihm überein.
Das halbe Dutzend Mitglieder im Prüfungsausschuss der Biologischen Fakultät, die die Arbeit lasen, bewerteten sie als eine der besten, die sie je zu sehen bekommen hatten – in Bezug auf Konzeption, Originalität und Durchführung. Raff widmete sie seinen beiden Förderern:
Für die Professoren William A. Needham und Frederick Norville, deren großzügige Unterstützung und Hingabe diese Untersuchung ermöglicht haben.
Bill Needham und ich empfanden diesen schlichten Dank als genauso wertvoll wie jede Widmung unserer Forscherkollegen in Büchern und Zeitschriften.
Was Raff herausgefunden hatte, musste erhalten bleiben,und kurz nach seinem Abschluss machte ich mich mit Bill Needhams Unterstützung daran, dafür zu sorgen. Wir strichen Raffs Messungen und Diagramme und übersetzten seine manchmal etwas ungelenken Formulierungen in einen weniger akademischen Stil. Das Verdienst seines Berichts liegt darin, dass er beschreibt, was in solchen Ameisenhügeln während der unerbittlichen Kämpfe und Kriege wirklich vorgeht. Er stellt die Geschichte so dar, dass sie der Sicht der Ameisen selbst auf die Ereignisse so nahe wie möglich kommt.
Schon zu Beginn seiner Forschungen hatte sich Raff auf die große Kolonie am Trailhead vom Lake Nokobee konzentriert. Es war der erste Ameisenhügel, auf den man am Picknickplatz, dem Ausgangspunkt des Nokobee-Pfades, traf; über ihn hatte er in den Jahren zuvor die meisten Notizen angefertigt. Diesen Hügel nannte Raff die Trailhead-Kolonie, und er beschloss, sie zum Prototyp seiner Arbeit zu machen. Klug entschied er, Lebensweise und Sozialverhalten so genau wie möglich aufzuzeichnen, ohne den Hügel aufzugraben oder ihn sonst wie zu behelligen. Needham schlug zudem vor, dass diese Beobachtungen als Grundlage für spätere Untersuchungen dienen sollten, also auch für das Studium anderer Kolonien am Dead Owl Cove. Und dann ließ sich vielleicht für die gesamte Spezies ein vollständigeres Bild zeichnen.
Die Trailhead-Kolonie gehörte zu Raffs frühesten Kindheitserinnerungen. An warmen, regenfreien Tagen patrouillierten die Arbeiterinnen auf Futtersuche drei oder mehr Meter um den Nesteingang herum. Und mehrmals pro Stunde kamen einige von ihnen mit frischer Beute zum Nest zurück: Stücke von aufgesammelten toten Insekten,Pflanzennektar und die zuckrigen Ausscheidungen saftsaugender Insekten.
Als Raff gegen Ende des Jahres vor seinem Eintritt in die Florida State University nicht mehr nur gelegentliche Beobachtungen machte, stellte er fest, dass die Aktivität der Trailhead-Kolonie im Vergleich zu der hohen Aktivität der Vergangenheit stark abgenommen hatte. Weit weniger Arbeiterinnen trauten sich zur Futtersuche aus dem Nest heraus, und dementsprechend weniger Futter wurde auch herangeschafft. Als Raff so weit ging, mit einer Pflanzkelle an den Hügel zu stubsen, kamen nur wenige Soldatinnen herausgeschossen, um die Verteidigung zu organisieren. Irgendetwas stimmte nicht mit der mächtigen Trailhead-Kolonie.
«Ich glaube, die Kolonie ist krank, und es wird immer schlimmer», sagte er bei einer Käferparty,
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