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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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offiziell als Professor Needham an und nannte ihn hinter seinem Rücken Lieber Onkel Bill. Ihm war das freilich völlig gleichgültig.
    Bill Needham, damals Ende vierzig, war von der hageren falkenartigen Gestalt, die man bei erfahrenen Feldbiologen erwartet, aber fast nie vorfindet. Er sprach leise und wohl artikuliert, und die wissenschaftlichen Namen sprach er gerne exakt griechisch oder lateinisch aus. Sein unerschütterlich ruhiges, maßvolles Auftreten überdeckte seine innere Leidenschaft.
    Wenn Needham draußen unterwegs war, trug er stetseinen nach seinen Anweisungen gefertigten Porkpie-Hut. Den Hutdeckel bildete ein Netz, durch das kühlende Luft an seinen Kopf gelangen konnte. Unter der Krempe hing ein ordentlich gefaltetes Moskitonetz, das er mit einem Zug an einer Schnur herunterlassen konnte, um Gesicht und Nacken vor den Blutsaugern zu schützen. Er sei, erklärte Needham, gegen Mückenstiche allergisch. Er hatte einen leuchtend orangefarbenen Rucksack dabei, der außer Notizen und handgeschriebenen Kladden auch Flaschen für Insekten enthielt sowie ein geschickt gefaltetes Schmetterlingsnetz – eine weitere Erfindung von ihm. Das Netz ließ sich in Windeseile zücken, und es öffnete sich wie ein Regenschirm. Wo immer Needham ein fliegendes Insekt sah, das ihn interessierte, selbst inmitten einer Menschenmenge, zog er sein ‹Needham-Netz› heraus und schnappte sich das Tier zur näheren Untersuchung.
    Needham war ein echter Exzentriker; seine Absonderlichkeiten wirkten nicht aufgesetzt, sondern waren einfach seine Art, sich an der Welt, wie er sie erlebte, zu erfreuen. Jeder Ort, selbst die überlaufensten Stellen im Stadtzentrum von Tallahassee und der Campus der Florida State University, war für ihn ein Lebensraum voller Insekten. Er kannte Namen und Lebensgewohnheiten von fast allem, was er sah, und stets hatte er ein waches Auge für einen Neuling, der ihm über den Weg lief. Häufig assistierte ihm seine dritte Ehefrau, eine ehemalige Doktorandin, die – zwangsläufig und zu guter Letzt, nachdem ihm zwei andere davongelaufen waren – seine Besessenheit für Insektenkunde teilte.
    Dieser geniale Wissenschaftler und Gentleman der Südstaaten wurde von seinen engsten Studenten geradezuvergöttert. Die meisten Lehrerkollegen verbeißen sich nur in ihr Fachgebiet, vermitteln es voller Eifer, aber dann gehen sie nach Hause, zum Essen und um ihren Hobbys nachzugehen. Needham lebte für seine Arbeit. Seine Jünger konnten gar nicht anders, als sich ebenfalls von der Welt verzaubern zu lassen, die ihn rund um die Uhr in Beschlag nahm. Sie lernten, menschliche Artefakte lediglich als Matrix zu betrachten, in der unzählige Mengen von Insekten lebten und auf geheimnisvolle Weise ihre Aufträge erfüllten. Nur wenige Studenten tauchten je vollständig in seine Welt ein, und auch dann nur für wenige Semester. Ihr Leben lang aber verfügten sie alle zumindest über Grundkenntnisse der Entomologie und erinnerten sich an den Geist ihres Lehrers. Er war ein Schmuckstück seines Metiers, Träger der Goldmedaille der amerikanischen entomologischen Gesellschaft und wurde 1994 vom Verband der südöstlichen Universitäten zum Dozenten des Jahres ernannt.
    Immer mittwochs um vier Uhr nachmittags öffnete Needham sein Büro für alle, um einem informellen Seminar vorzusitzen, das gemeinhin als «Käferparty» bezeichnet wurde. Da servierte er heißen Tee in Styroporbechern und Supermarktkekse aus Pappschachteln. Das Gespräch begann gewöhnlich mit einem aktuellen Thema oder einem bedeutenden Bericht aus der neuesten Ausgabe von
Nature
oder
Science
. Dann wanderte es ziellos umher, ging auch reißerischen Themen der inner universitären und landesweiten Politik nicht aus dem Weg. Jedes Mal aber, und das schon bald, kehrte es zurück zur weiten, geheimnisvollen Welt der Entomologie. Needham sprach stets als Erster und übernahm häufig die Rolle des Gesprächsleiters, lieber aber hörte er zu. Gerne betonte er,dass das ein wichtiger Teil seiner eigenen Ausbildung gewesen war.
    Angebern bot er Paroli, und das nicht immer höflich. «Haben Sie einen Beweis dafür?» oder «Das klingt nach einer Art Antwort. Und wie lautete die Frage?» oder «Ich habe hier eine Zikadenwespe. Ist irgendeinem das Tier bekannt? Ich wette, Sie halten sie alle für eine Ameisenart, wenn Sie sie sehen.» Dann schüttelte er die Zikadenwespe aus einem Glasröhrchen, und alle sahen zu, wie die kleine Wespe über den Tisch krabbelte und die

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