Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
verfolgten Baskerville-Expedition. Ich begrüße Sie in Luxor. Lady Baskerville hat mich geschickt. Wo ist der Professor? Lange habe ich darauf gewartet, die Ehre zu haben, ihn begrüßen zu dürfen. Der Bruder des so berühmten Walter Emerson …«
Diese wahre Springflut von einer Begrüßungsrede war um so bemerkenswerter, als das Gesicht des jungen Mannes während der ganzen Zeit völlig ausdruckslos blieb. Nur seine Lippen und der riesige Schnurrbart darüber bewegten sich. Wie ich später erfahren sollte, sprach Karl von Bork nur selten, doch wenn er einmal zu sprechen begann, war es praktisch unmöglich, ihn zu unterbrechen, es sei denn mittels der Methode, deren ich mich in diesem Fall bediente.
»Guten Tag«, sagte ich mit so lauter Stimme, daß seine letzten Worte übertönt wurden. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Mein Gatte ist gerade … Wo steckt er nur? Ah, Emerson, darf ich dir Herrn von Bork vorstellen?«
Emerson schüttelte dem jungen Mann die Hand. »Der Epigraphiker? Gut. Ich vermute, Sie haben ein Boot bereitstehen – von ausreichender Größe. Ich habe nämlich aus Kairo zwanzig Männer mitgebracht.«
Von Bork verbeugte sich erneut. »Eine ausgezeichnete Idee, Herr Professor. Ein Geniestreich! Aber ich hätte auch nichts anderes erwartet vom Bruder des berühmten …«
Ich unterbrach seinen Wortschwall wie schon beim erstenmal; und wir stellten fest, daß Herr von Bork, wenn er nicht redete, so tatkräftig war, daß er selbst meinen anspruchsvollen Mann zufriedenstellte. Die Feluke, die er gemietet hatte, war so geräumig, daß wir alle Platz fanden. Unsere Leute versammelten sich am Bug, musterten hochmütig die Matrosen. Die großen Segel blähten sich, der Bug neigte sich und wandte sich vom Ufer fort. Wir ließen die antiken Tempel und modernen Gebäude von Luxor hinter uns und fuhren hinaus in den breiten Lauf des Nils.
Ich hatte das Gefühl, daß hinter dieser Fahrt nach Westen ein tieferer Sinn lag. Eben jenen Weg hatten die Bewohner Thebens viele Generationen lang zurückgelegt, wenn sie, nachdem die Widrigkeiten des Lebens hinter ihnen lagen, die Segel setzten, um ihre letzte Reise gen Himmel anzutreten. Seit Jahrtausenden zerlöcherten die Gräber von Adeligen, Pharaonen und einfachen Bauern wie Bienenwaben die schroffen Felshänge im Westen, die nun golden in der Morgensonne leuchteten. Als wir am Ufer entlangfuhren, konnten wir allmählich die zerfallenen Überreste des einst so prächtigen Totentempels erkennen; die geschwungene weiße Säulenreihe von Deir el Bahri, die bedrohlich wirkenden Wände des Ramsesseums, und – die Ebene überragend – jene Kolossalstatuen, die allein von dem herrlichen Tempel Amenhotep des Dritten übriggeblieben sind. Doch die Wunder, die wir nicht sehen konnten – die verborgenen, in den Fels gemeißelten Ruhestätten der Toten –, gaben der Vorstellungskraft weitaus mehr Nahrung. Als ich meine Blicke schweifen ließ, wollte mir vor Freude schier das Herz zerspringen, und die vergangenen vier Jahre in England kamen mir vor wie ein schrecklicher Traum.
Von Borks Stimme riß mich aus meiner friedlichen Betrachtung dieses riesigen Friedhofs. Ich hoffte, der junge Mann würde aufhören, Emerson als Bruder des berühmten Walter zu bezeichnen. Emerson hat den größten Respekt vor Walters Fähigkeiten. Allerdings hätte man ihm kaum übelnehmen können, wenn er es sich verbeten hätte, lediglich als Anhängsel seines Bruders betrachtet zu werden. Von Borks Spezialgebiet war die Erforschung der alten Sprache, weshalb seine Bewunderung für Walters Leistungen auf diesem Gebiet nicht weiter überraschend war.
Doch von Bork erzählte Emerson nur die letzten Neuigkeiten. »Ich habe, auf Anordnung von Lady Baskerville, am Eingang des Grabes eine schwere Stahltür anbringen lassen. Im Tal gibt es zwei Wächter, sie unterstehen einem Unterinspekteur des Amtes für Kulturdenkmäler …«
»Nutzlos!« rief Emerson aus. »Viele der Wächter sind entweder mit den Grabräubern von Gurneh verwandt oder so erbärmlich abergläubisch, daß sie nach Einbruch der Dunkelheit ihre Hütten nicht mehr verlassen. Sie hätten das Grab selbst bewachen sollen, von Bork.«
»Sie haben recht, Herr Professor«, murmelte der junge Deutsche betroffen. »Aber es war schwierig; nur Milverton und ich sind zurückgeblieben, und er ist an einem Fieber erkrankt. Er …«
»Mr. Milverton ist der Photograph?« fragte ich.
»Ganz richtig, Frau Professor. Zur Mannschaft der
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