Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
was eine Frau dazu treiben kann, ihren Gatten zu ermorden.«
»Und umgekehrt, Peabody, und umgekehrt.« Emerson rutschte wieder in seine Schlummerhaltung zurück und schob sich den Hut über die Augen.
»Es gibt noch etwas, was ich dir gegenüber nie angesprochen habe«, sagte ich.
»Und das wäre?«
»Du«, fuhr ich fort, »wurdest in dieser letzten Nacht vom Schlaf übermannt. Leugne es nicht; noch Stunden später bist du lallend umhergetorkelt. Wenn ich Lady Baskerville nicht mit ihren eigenen Schleiern gefesselt hätte, wäre sie entkommen. Was hast du mir in den Kaffee geschüttet, Emerson?«
»So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört«, nuschelte Emerson.
»Du hast meinen Kaffee getrunken«, fuhr ich gnadenlos fort. »Anders als du bin ich davon ausgegangen, daß Lady Baskerville Schritte unternehmen würde, um sicherzugehen, daß du in dieser Nacht schläfst und hilflos bist. Deshalb habe ich das Gift selbst getrunken wie … nun, wie eine Anzahl von Heldinnen, von denen ich gelesen habe. Also, mein lieber Emerson, was war in meinem Kaffee, und wer hat es dort hineingetan?«
Emerson schwieg. Ich wartete, da ich festgestellt hatte, daß kalte Ruhe viel wirkungsvoller ist als Anschuldigungen, um die Zunge eines Opfers zu lösen.
»Du warst selbst schuld«, sagte Emerson schließlich.
»Ach ja?«
»Wenn du friedlich wie eine vernünftige Frau zu Hause geblieben wärst, wenn man es dir sagt …«
»Also hast du mir Opium in den Kaffee geschüttet, und Lady Baskerville gab welchen in deinen und in Mr. O’Connells, nachdem du ihn aufgefordert hattest, dich zu begleiten. Wirklich«, sagte ich am Ende meiner Geduld angelangt, »diese ganze Angelegenheit ist eine Farce. Emerson, dein Leichtsinn erstaunt mich. Was wäre gewesen, wenn Lady Baskerville mich auch hätte außer Gefecht setzen wollen? Deine kleine Liebesgabe, die du, wie ich vermute, aus meinem Arzneikästchen hast, hätte zusätzlich zu der ihren meinen nächtlichen Umtrieben ein für allemal ein Ende bereitet.«
Emerson sprang auf. Sein Hut flog ihm durch die heftige Bewegung vom Kopf, segelte einige Sekunden lang durch die Luft und landete dann auf dem Kopf von Sat Hathor, der Lobsängerin Amons. Es war ein ziemlich belustigender Anblick, aber ich war nicht in der Stimmung zu lachen. Der arme Emerson war unter seiner dunklen Sonnenbräune erbleicht. Er achtete nicht auf die Zuschauer im Zwischendeck, hob mich aus meinem Liegestuhl und preßte mich an sich. »Peabody!« rief er aus, und seine Stimme war heiser vor Gemütsbewegung. »Ich bin der dümmste Idiot auf der ganzen Welt. Wenn ich nur daran denke, gefriert mir das Blut in den Adern … Kannst du mir verzeihen?«
Ich verzieh ihm mit Taten statt mit Worten. Nach einer langen Umarmung ließ er mich los.
»Eigentlich«, sagte er, »steht es zwischen uns Remis. Du hast versucht, mich zu erschießen, und ich habe versucht, dich zu vergiften. Wie ich schon immer sage, Peabody, wir beide passen gut zusammen.«
Es war unmöglich, ihm zu widerstehen. Ich fing an zu lachen, und bald stimmte Emerson mit ein.
»Was hältst du davon, wenn wir ein bißchen hinunter in die Kabine gehen?« fragte er. »Die Mumien kommen eine Zeitlang auch allein zurecht.«
»Noch nicht. Bastet ist gerade aufgewacht, als wir nach oben kamen. Du weißt, sie wird noch ein wenig heulen und toben, bis sie sich in ihre Lage fügt.«
»Ich hätte diese Katze nie mitnehmen sollen«, brummte Emerson. Doch dann erhellten sich seine Züge. »Aber stell dir nur vor, Peabody, was für ein Gespann sie und Ramses abgeben werden. Wir werden uns keine Sekunde mehr langweilen.«
»Es wird ihn für die nächste Saison abhärten«, stimmte ich zu.
»Meinst du wirklich …«
»Ich bin davon überzeugt. Du meine Güte, Emerson, Luxor entwickelt sich allmählich zu einem Kurort. Dem Jungen wird es dort besser gehen als in dem gräßlichen, feuchten englischen Winter.«
»Zweifellos hast du recht, Peabody.«
»Wie immer. Wo, glaubst du, sollen wir im nächsten Winter mit den Ausgrabungen anfangen?«
Emerson nahm der Lobsängerin Amons den Hut ab und stülpte ihn sich auf den Kopf. Sein Gesicht hatte den Ausdruck, den ich so an ihm liebe – von der ägyptischen Sonne war es braungebrannt wie das eines Nubiers, die Augen hatte er zweifelnd zusammengekniffen, und um seinen Mund spielte ein Lächeln.
»Ich befürchte, im Tal ist nichts mehr zu holen«, antwortete er und kratzte sich am Kinn. »Dort gibt es keine Königsgräber
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