Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
Dorfbewohner bilden. In den Hügeln hinter dem Dorf, nur eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt, liegen die engen Täler, wo die Könige und Königinnen des Reiches begraben sind.
Noch bevor wir das Dorf sehen konnten, hörten wir bereits das Lärmen der Kinder, Hundegebell und das Meckern von Ziegen. Aus einer Senke in der Wüste ragte die Kuppel der alten Dorfmoschee hervor, und eine Reihe von antiken Säulen lag halb verdeckt zwischen Palmen und Maulbeerbäumen. Emerson hielt geradewegs darauf zu, und kurz darauf begriff ich, warum er diese Route einschlug. Dort befand sich nämlich eine kostbare Wasserquelle, neben der ein geborstener Sarkophag als Viehtränke diente. Ein Dorfbrunnen ist stets ein Ort geschäftigen Treibens, wo die Frauen ihre Krüge füllen und die Männer das Vieh tränken. Als wir näherkamen, verstummten die Menschen und hielten mitten in ihrer Tätigkeit inne. Krüge lagen zum Schöpfen bereit in den Armen der Frauen, und die Männer hörten auf, zu rauchen und zu palavern; alle starrten unserer kleinen Karawane entgegen.
Schallend rief Emerson ihnen in arabisch einen Gruß entgegen. Er blieb nicht stehen und wartete auch keine Antwort ab. So würdevoll, wie es auf einem jungen Esel möglich ist, ritt er, mit Karl und mir im Schlepptau, weiter. Wir hatten den Brunnen kaum hinter uns gelassen, als hinter uns Geräusche darauf hinwiesen, daß alle wieder zu ihrer Beschäftigung zurückgekehrt waren.
Unsere geduldigen Tiere trotteten durch den Sand, und ich ließ Emerson ein paar Schritte voranreiten. An der stolzen Haltung seiner Schultern konnte ich erkennen, daß er sich in der Rolle des heldenhaften Heerführers sah, der seine Truppen anführt; und ich hatte keinen Grund, ihm klarzumachen, daß kein Mann auf dem Rücken eines Esels beeindruckend aussieht – besonders dann nicht, wenn seine Beine so lang sind, daß er sie in einem Winkel von fünfundvierzig Grad von sich strecken muß, damit sie nicht am Boden schleifen. (Emerson ist nicht außergewöhnlich groß, nur die Esel sind ungewöhnlich klein.)
»Wozu war das gut?« fragte Karl mit leiser Stimme, als wir nebeneinander herritten. »Ich verstand es nicht. Den Professor zu fragen wage ich nicht; aber Sie, seine Begleiterin und …«
»Ich habe überhaupt nichts dagegen, es Ihnen zu erklären«, erwiderte ich. »Emerson hat diesem Diebespack den Fehdehandschuh hingeworfen. Er hat ihnen zu verstehen gegeben: Ich bin hier, und ich habe keine Angst vor euch. Ihr wißt, wer ich bin; wer sich mit mir anlegt, tut es auf eigene Gefahr. Er hat das gut gemacht, Karl; es war einer von Emersons besseren Auftritten, wenn ich so sagen darf.«
Im Gegensatz zu Karl hatte ich mir nicht die Mühe gemacht, leise zu sprechen. Emersons Schultern zuckten ärgerlich, aber er drehte sich nicht um. Nach einer Weile passierten wir einen felsigen Ausläufer und sahen die geschwungene Talmulde vor uns, in deren Schutz die Tempelruinen von Deir el Bahri liegen; ganz in der Nähe befand sich das Haus.
Die meisten Leser, glaube ich, sind mit dem Erscheinungsbild des inzwischen berühmten Hauses der Baskerville-Expedition vertraut, nachdem Photographien und Zeichnungen davon in zahlreichen Zeitschriften erschienen sind. Ich selbst hatte nie die Gelegenheit gehabt, das Gebäude in Augenschein zu nehmen, da es sich bei unserem letzten Besuch in Luxor noch im Bau befand, und obwohl ich Bilder und Baupläne davon kannte, war es doch beeindruckend, es zum erstenmal zu sehen. Wie die meisten Häuser im Orient war es um einen Innenhof herum erbaut; die Räume lagen auf allen vier Seiten. Durch ein breites Tor in der Mitte einer der Mauern gelangte der Besucher in den Innenhof, zu dem hin sich die Zimmer öffneten. Das Gebäude bestand aus gewöhnlichen Lehmziegeln, ordentlich verputzt und weiß getüncht. Allerdings war es riesengroß und zeugte von Lord Baskervilles Leidenschaft für altägyptische Ornamente. Das Tor und die Fenster hatten hölzerne Stürze, die mit ägyptischen Motiven in kräftigen Farben bemalt waren. Entlang einer der Seiten des Gebäudes zog sich eine Reihe von Säulen mit vergoldeten Kapitellen in Lotusblütenform. Sie bildeten eine angenehm schattige Loggia, wo Orangen- und Zitronenbäume in irdenen Töpfen wuchsen und sich grüne Weinreben um die Säulen rankten. Daneben spendete ein Brunnen den Palmen und Feigenbäumen Wasser; im gleißenden Sonnenlicht erinnerten uns die weißen Wände und archaischen Verzierungen daran, wie die antiken
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