Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
Paläste einst ausgesehen haben mußten, bevor die Zeit sie in Trümmerhaufen verwandelte.
Mein Mann hat keinen Sinn für Architektur, sofern sie nicht dreitausend Jahre alt ist. »Zum Teufel!« rief er. »Was für eine entsetzliche Geldverschwendung!«
Wir ließen unsere Tiere Schrittgeschwindigkeit gehen, damit wir den ersten Blick auf unser neues Zuhause besser genießen konnten. Mein Esel jedoch mißverstand dies und blieb stehen. Ich lehnte Karls Angebot, das Tier mit dem Stock anzutreiben, ab – ich halte nichts davon, Tiere zu schlagen – und redete dem Esel streng ins Gewissen. Das Tier sah mich erstaunt an und trottete dann weiter. Ich nahm mir vor, den Esel und auch die anderen, die Lord Baskerville gemietet hatte, eingehend zu untersuchen, sobald ich Zeit dafür fand. Diese armen Geschöpfe wurden miserabel behandelt und litten oft an wundgeriebenen Stellen durch den Sattel und Entzündungen aufgrund mangelnder Sauberkeit. So etwas hatte ich bei meinen früheren Expeditionen niemals geduldet, und ich wollte es auch diesmal nicht zulassen.
Als wir näherkamen, öffnete sich das hölzerne Tor, und wir ritten direkt in den Innenhof. Wie in einem Kloster zog sich ein von Säulen gestützter und mit roten Ziegeln gedeckter Wandelgang über drei Seiten hin. Sämtliche Zimmer öffneten sich zu diesem nach außen offenen Korridor, und auf meine Bitte hin machte Karl mit uns eine kurze Besichtigungstour. Beeindruckt stellte ich fest, wie durchdacht die Architektur dieses Gebäudes war; hätte ich es nicht besser gewußt, dann hätte ich vermutet, daß der Plan von einer Frau stammte. Für Personal und Besucher stand eine Reihe von kleinen, aber bequemen Schlafzimmern bereit. Größere Räume und auch das kleine Zimmer, das als Bad diente, waren Lord und Lady Baskerville vorbehalten gewesen. Karl teilte uns mit, daß das Zimmer seiner Lordschaft nun das unsere sei, und ich war mit diesem Arrangement völlig zufrieden. Ein Teil des Raums war als Arbeitszimmer eingerichtet und mit einem langen Tisch und einer Reihe von Bücherborden möbliert, die eine ägyptologische Bibliothek enthielten.
Heute haben solche Unterkünfte keinen Seltenheitswert mehr; oft setzt sich eine Ausgrabungsmannschaft aus vielen Personen zusammen. In jener Zeit aber bestand eine Expedition meist nur aus einem überlasteten Forscher, der die Arbeiter beaufsichtigen, die Aufzeichnungen und Buchführung eigenhändig auf dem laufenden halten, sein Essen selbst kochen und seine Strümpfe selbst waschen mußte – wenn er überhaupt welche trug. Und angesichts dessen war Lord Baskervilles Haus so etwas wie das siebte Weltwunder. In einem Flügel lagen nur das große Eßzimmer und ein geräumiger Salon oder Gemeinschaftsraum, die sich zur säulenverzierten Loggia hin öffneten. Möbliert war dieser Raum mit einer merkwürdigen Mischung aus alten und modernen Stücken. Gewebte Matten bedeckten den Boden, und hauchdünne weiße Vorhänge vor den hohen Verandatüren verhinderten das Eindringen von Insekten. Die Stühle und Sofas waren mit königsblauem Plüsch bezogen; die Rahmen der Bilder und Spiegel waren kunstvoll geschnitzt und vergoldet. Es gab sogar ein Grammophon mit einer umfangreichen Sammlung von Opernmusik, die der verstorbene Sir Henry besonders geschätzt hatte.
Bei unserem Eintreten erhob sich ein Mann von dem Sofa, auf dem er geruht hatte. Aufgrund seiner Blässe und seines schwankenden Gangs, als er auf uns zukam, war es unnötig, daß Karl uns miteinander bekanntmachte; es handelte sich um den kränkelnden Mr. Milverton. Ich führte ihn gleich wieder zum Sofa zurück und legte ihm die Hand auf die Stirn.
»Ihr Fieber ist abgeklungen«, sagte ich. »Aber Sie leiden immer noch an Entkräftung, die Ihre Krankheit verursacht hat, und hätten Ihr Bett nicht verlassen sollen.«
»Um Himmels willen, Amelia, beherrsche dich«, brummte Emerson. »Ich hatte gehofft, daß du auf dieser Expedition nicht wieder dem Wahn verfällst, eine ausgebildete Ärztin zu sein.«
Ich wußte genau, warum er so schlecht gelaunt war. Mr. Milverton war ein äußerst gutaussehender junger Mann. Das scheue Lächeln auf seinem Gesicht, als er von mir zu meinem Mann hinübersah, zeigte, daß er ebenmäßige weiße Zähne und schöngeschwungene Lippen hatte. Seine goldenen Locken fielen ihm unordentlich in die hohe weiße Stirn. Doch sein gutes Aussehen hatte nichts Weibisches an sich, und seine Konstitution war durch die Krankheit nicht ernstlich angegriffen
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