Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
Leichen zu tun hatte, kostete es mich einige Überwindung, die schlaffe Hand zu berühren. Sie war noch warm, aber es war trotzdem unmöglich, auf eine bestimmte Todeszeit zu schließen, weil die Luft unerträglich warm und stickig war. Ich war aber sicher, daß er noch nicht allzu lange tot sein konnte. Ich entzündete einige Streichhölzer und untersuchte den Boden.
»Was zum Teufel tust du da?« fragte Emerson. »Laß uns so schnell wie möglich ins Hotel zurückkehren, um zu telefonieren. Hier wird uns um diese Zeit niemand öffnen.«
»Du hast recht«, sagte ich. Ich hatte gesehen, was ich wollte und folgte Emerson in den großen Raum. Nachdem der Vorhang zwischen uns und dem Schrecken war, fühlte ich mich merklich wohler.
»Suchst du nach Beweisen?« fragte Emerson ironisch, während ich mir das Durcheinander auf dem Boden näher ansah. Das Mumienporträt war verschwunden, doch ich tat, als hätte ich es nicht bemerkt. Schließlich war es ohnehin gestohlen und konnte nirgends besser aufgehoben sein als bei meinem Mann.
»Ich weiß eigentlich nicht, wonach ich suche«, sagte ich. »Ich fürchte, es ist hoffnungslos, denn in diesem Scherbenhaufen hat sich nicht einmal ein Fußabdruck erhalten. Schau! Ist das nicht vielleicht ein Blutfleck?«
»Der arme Kerl ist erstickt, Peabody!« rief Emerson.
»Aber ich glaube ganz sicher, daß es Blut ist …«
»Wahrscheinlich ist es Farbe.«
»Blut von dem Dieb, der …«
»Von welchem Dieb?«
»Der sich bei dem Kampf mit Abd el Atti verletzt hat«, vollendete ich endlich meinen Satz, nachdem ich mehrfach unterbrochen worden war. »Ich nehme an, daß er sich an einer Scherbe verletzt hat, als er mit Abd el Atti kämpfte.«
Emerson packte energisch meine Hand. »Jetzt ist es aber genug, Peabody. Falls du nicht gutwillig mitgehst, werde ich dich wie einen Sack auf den Rücken nehmen …«
»Dazu ist der Durchgang viel zu schmal«, sagte ich. »Noch eine Minute, Emerson!«
Ich konnte gerade noch ein Stück packen, bevor er mich hochzog. »Schau! Noch ein Papyrusfragment.« Doch er zog mich nur wortlos mit sich fort.
Bis wir die Muski erreicht hatten, sprach keiner von uns. Es war mittlerweile beträchtlich spät geworden, und außer uns war niemand mehr unterwegs. Ich atmete tief und sagte schließlich: »Warte eine Sekunde, Emerson, ich kann nicht so schnell gehen. Ich bin schrecklich müde.«
»Das glaube ich gern, besonders nach solch einer Nacht!« Er ging langsamer, bot mir seinen Arm, und ich hatte keine Skrupel, mich anzulehnen. Weil Emerson diese Geste liebte, wurde er gleich viel sanfter. »Ich glaube jetzt, daß du recht hattest, Peabody. Der alte Gauner hatte tatsächlich etwas auf dem Herzen. Nur schade, daß er sich umgebracht hat, bevor er mit uns gesprochen hatte.«
»Was sagst du da?« rief ich. »Abd el Atti hat sich doch nicht umgebracht. Er ist getötet worden!«
»Amelia! Das ist doch eine bloße Vermutung! Ich dachte mir, daß du wieder wilde Kombinationen anstellen würdest, aber du kannst doch nicht …«
»Mein lieber Emerson, mache dich nicht lächerlich! Du hast den Tatort gesehen, nicht wahr? Hast du irgendwo in der Nähe des Toten einen Tisch oder einen Stuhl oder Schemel gesehen, auf dem Abd el Atti gestanden hat, während er sich die Schlinge um den Hals gelegt hat?«
»Verdammt!« sagte Emerson nur.
»Zweifellos wurde der arme Kerl ermordet – heimtückisch getötet, nachdem er uns um Hilfe gebeten hatte.«
»Verschone mich mit solchem Unsinn!« sagte Emerson wütend. »Falls Abd el Atti ermordet wurde, dann bestimmt von einem seiner Kumpane. Mit uns hat das nichts zu tun, das ist nur ein zufälliges Zusammentreffen – oder das Ergebnis, wenn man seine Nase in die Angelegenheit anderer Leute steckt. Wir werden die Polizei benachrichtigen, wie es unsere Pflicht ist, aber mehr werden wir nicht tun. Ich habe genug andere Dinge im Kopf und möchte mich endlich meinen Aufgaben widmen …«
Ich ließ ihn brummeln. Mit der Zeit würde er den wahren Zusammenhang erkennen. Also, weshalb sollte ich jetzt meine Kraft vergeuden?
Nach einigen Stunden Schlaf fühlte ich mich wie neugeboren. Als ich die Augen aufschlug, schien die Sonne schon hell. Noch bevor ich den Tee trank, der uns gebracht worden war, öffnete ich die Tür zum Nebenzimmer. Es war leer, doch mitten auf dem Tisch lag ein Zettel. Demnach hatten John und Ramses uns nicht wecken wollen und waren auf eigene Faust in die Stadt gegangen. »Machen Sie sich keine
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