Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
Sorgen, Sir und Madam«, hatte John geschrieben. »Ich werde Master Ramses nicht aus den Augen lassen.«
Emerson war keineswegs beruhigt. »Du siehst, was daraus wird, wenn man sich auf nächtliche Abenteuer einläßt«, brummte er. »Wir haben verschlafen, und unser armer Sohn irrt schutzlos durch die riesige Stadt!«
»Ich mache mir ebenfalls Sorgen«, sagte ich. »Wenn ich mir vorstelle, was Ramses in wenigen Stunden anrichten kann, dann fürchte ich, werden einige Schadenersatzforderungen auf uns zukommen.«
Auch wenn Emerson sich weigerte, noch einmal über die Ereignisse des gestrigen Abends zu sprechen, rechnete ich trotzdem mit einigen Befragungen durch die Behörden. Und ich sollte recht behalten. Noch bevor wir unser Frühstück beendet hatten, erschien ein weißgekleideter Diener, verbeugte sich tief und bat uns, in das Büro des Geschäftsführers zu kommen.
Emerson warf seine Serviette auf den Tisch. »Siehst du! Nichts als Verzögerungen und Schwierigkeiten! Alles deine Schuld, Amelia! Komm, damit wir es wenigstens bald hinter uns haben!«
Mr. Baehler war der Manager des Shepheard’s Hotel – ein großer, gutaussehender Schweizer, der immer überaus höflich war und uns auch jetzt mit einem Lächeln begrüßte. Doch mein Gruß erstarb mir auf den Lippen, als ich statt offizieller Polizeibeamten nur einen Polizisten und meinen kleinen, unglaublich schmutzigen Sohn erblickte.
Emerson stürzte an Mr. Baehler vorbei, ohne dessen ausgestreckte Hand zu beachten, und riß seinen Sohn in seine Arme. »Ramses, mein Liebling! Wo kommst du denn her! Bist du verletzt?«
Doch Ramses konnte kein Wort erwidern, weil Emerson ihn so fest an seine Brust drückte. Dabei blickte er den Polizisten wütend an. »Was haben Sie ihm getan?«
»Bitte, Emerson! Beherrsche dich! Du solltest dich lieber bedanken, daß er den Jungen nach Hause begleitet hat.«
Der Polizist sah mich dankbar an. Er trug eine tadellose Uniform und sprach ein ausgezeichnetes Englisch – alles Zeichen für die Veränderungen, die die Briten diesem Land beschert haben. »Vielen Dank, Madam«, sagte er salutierend. »Dem jungen Mann ist kein Leid geschehen.«
»Das sehe ich. Ich hatte eigentlich angenommen, daß Sie gekommen sind, um uns einige Fragen wegen des Mordes zu stellen.«
»Deshalb bin ich gekommen, Madam«, war die respektvolle Antwort. »Wir haben den jungen Mann im Geschäft des Toten gefunden.«
Ich sank auf den Stuhl, den Mr. Baehler mir hingeschoben hatte. Atemlos meldete sich Ramses zu Wort: »Mama, ich würde ef vorziehen, mit dir allein zu fprechen …«
»Schweig!«
»Aber die Katze Baftet, Mama …«
»Bitte, sei jetzt still!«
Alle schwiegen, und Mr. Baehler sah etwas ratlos in die Runde, während sich meine Augen ganz langsam John zuwandten, der sich so weit wie möglich in den Hintergrund zurückgezogen hatte. Als ich ihn ansah, begann er zu stottern: »Ich … ich wußte … ich wußte nicht, wo wir waren … erst, als …«
»Nehmen Sie sich zusammen!« sagte ich.
»Aber daf ftimmt, Mama«, piepste Ramses. »Ef war nicht Johnf Fuld! Er dachte wirklich, daf wir unf nur den Bafar anfauen.«
Dann sprachen alle gleichzeitig. Mr. Baehler schlug vor, die Familienangelegenheiten vielleicht nicht gerade in seinem Büro zu besprechen; der Polizist drängte, weil er noch andere Pflichten hatte, John versuchte, sich zu rechtfertigen, und Ramses verteidigte ihn. Schließlich beendete ich das Durcheinander, indem ich aufstand.
»Inspektor, ich nehme an, daß Ramses jetzt gehen kann?«
»Selbstverständlich«, sagte der Mann aufatmend.
»John, bringen Sie Ramses nach oben, und waschen Sie ihn. Und rühren Sie sich nicht von der Stelle, bis wir kommen!« Dann setzte ich mich wieder und sagte: »So, und jetzt zum Wesentlichen!«
Das wenige war schnell gesagt, aber aus den Blicken, die während meines Vortrags zwischen Emerson und dem Polizisten gewechselt wurden, und aus Emersons häufigen Unterbrechungen schloß ich, daß meiner Meinung keinerlei Gewicht beigemessen wurde. »Eine Streitigkeit unter Dieben«, lautete die Zusammenfassung des Polizisten. »Vielen Dank für Ihre Mitarbeit, Professor und Mrs. Emerson!«
»Wenn Sie den Verdächtigen verhaftet haben, komme ich gern und identifiziere ihn«, bot ich an.
Der Polizist sah mich fragend an. »Den Verdächtigen?«
»Den Mann, den ich gestern mit Abd el Atti habe sprechen sehen. Ich habe Ihnen doch seine Beschreibung gegeben. Haben Sie sie notiert?«
»Oh!
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