Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
über den Kopf zu streuen.
»Ihre Mutter?« fragte ich den Mann.
»Das möge Allah verhüten«, war die Antwort. »Aber ich bin der älteste Sohn, Madam. Ich besitze einen Laden an der Muski und möchte die Sachen meines Vaters dorthin bringen. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich dort aufsuchen würden …«
»Ja, ja«, sagte ich, während ich seine Visitenkarte nahm, »aber darum geht es im Augenblick nicht. Sie können die Dinge jetzt noch nicht mitnehmen. Wissen Sie nicht, daß man den Tatort unberührt lassen muß, bis die Polizei das Verbrechen aufgeklärt hat?«
»Das Verbrechen?« Ein zynisches Grinsen veränderte das Gesicht des Mannes. Seine Augen verengten sich, und seine Lippen wurden schmal. »Mein Vater macht seinen Frieden mit Allah. Er hatte die falschen Freunde, Madam. Ich wußte, daß ihn irgendeiner früher oder später beseitigen würde.«
»Und das bezeichnen Sie nicht als Verbrechen?«
Der Mann rollte die Augen und zuckte nur die Schultern.
»Jedenfalls können Sie nichts aus dem Laden entfernen! Bringen Sie alles wieder an seinen Platz, und verschließen Sie die Tür!«
Die alte Hexe brach wieder in schrilles Gelächter aus und begann einen grotesken Tanz. »Ich wußte, daß Sie eine alte Frau nicht im Stich lassen, Sitt. Die Weisheit des Propheten hat aus Ihnen gesprochen. Nehmen Sie die Segenswünsche einer alten Frau entgegen: Viele Söhne sollen Sie haben, viele Söhne …«
Der Gedanke war nicht gerade mitreißend, und ich mußte blaß geworden sein, denn der Mann schöpfte Mut und sagte frech: »Sie haben kein Recht, mir etwas zu befehlen, Madam. Sie sind nicht die Polizei.«
»Sprechen Sie bitte nicht in diesem Ton mit meiner Lady!« mischte John sich ein. »Madam, soll ich ihm einen Schlag auf die Nase verpassen?«
Unser Publikum jubelte, soweit es Englisch verstand. Offenbar war der Sohn des alten Abd el Atti in dieser Gegend nicht sehr beliebt.
»Selbstverständlich nicht«, sagte ich. »Sie sollten nicht alle schlechten Angewohnheiten Ihres Herrn übernehmen, John! Ich bin sicher, daß Mr ….« Ich blickte auf die Karte, die ich in der Hand hielt, »… daß Mr. Aslimi vernünftig sein wird.«
Mr. Aslimi hatte keine andere Wahl, als nachzugeben. Die Arbeiter zogen unverrichteterdinge ab und schimpften, weil ihnen der Lohn entgangen war, und die Menge zerstreute sich nach und nach. Ich verabschiedete die alte Frau, bevor sie noch weitere gute Wünsche loswerden konnte, und sie entfernte sich staksend wie eine schwarze Krähe.
»Wenn Sie mir helfen, Mr. Aslimi, werde ich mich dafür einsetzen, daß Ihrem Wunsch so schnell wie möglich entsprochen wird.«
»Wie kann ich Ihnen helfen?« fragte Mr. Aslimi vorsichtig.
»Indem Sie mir meine Fragen beantworten. Was wissen Sie über die Geschäfte Ihres Vaters?«
Natürlich schwor er, nichts über irgendwelche illegalen Geschäfte zu wissen. Ich hatte es erwartet, aber trotzdem sagte mir mein Gefühl – und das trog mich nur selten –, daß er wahrscheinlich wirklich nichts mit einer Grabräuberbande zu tun hatte. Vielleicht sogar zu seinem Bedauern. Er wußte auch nichts über Abd el Attis Besucher, den ich ihm beschrieb; aber in diesem Fall wußte ich, daß er log. Selbst wenn er den Namen des Mannes wirklich nicht kannte, wußte er doch ziemlich genau, von wem die Rede war.
Anschließend bat ich, mich noch ein wenig im Geschäft umsehen zu dürfen. Ich entdeckte allerlei gestohlene Kunstwerke in verschlossenen Schubladen, doch dieses Problem interessierte mich nur am Rande; aber ich registrierte Mr. Aslimis Erleichterung, als ich schweigend über diese Dinge hinwegging. Ich fand nichts, was mir einen Hinweis auf Abd el Attis Mörder gegeben hätte, aber es war mir auch nicht klar, nach was ich überhaupt suchte.
Auch von Bastet gab es keine Spur, und als Mr. Aslimi auf meine Frage nur die Schultern zuckte, war ich überzeugt, daß er in diesem Fall bei der Wahrheit geblieben war. Wir verabschiedeten uns mit gegenseitigen Höflichkeiten, die natürlich gelogen waren. Ich war mir ziemlich sicher, daß er es nicht wagen würde, das Geschäft wieder zu öffnen, und ich versprach ihm, mich für die rasche Erledigung seines Anliegens einzusetzen.
Während John und ich uns durch die belebten Gassen drängten, hielten wir Ausschau nach dem goldbraunen Tier, konnten es aber nirgendwo entdecken. Auch auf meine zahlreichen Rufe erhielt ich keine Antwort, sondern erntete nur äußerst verwunderte Blicke der Vorübergehenden.
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