Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
spät schlafen, aber trotzdem war ich bereits beim ersten leisen Geräusch wach. Jemand kratzte vorsichtig an der Scheibe des offenstehenden Fensters. Ich war schon entschlossen, mich mit meinem Sonnenschirm auf den vermeintlichen Eindringling zu stürzen, als ich plötzlich meinen Namen hörte.
»Abdullah, sind Sie es?« flüsterte ich.
»Kommen Sie heraus, Sitt Hakim. Es gibt etwas zu sehen.«
In einer Sekunde war ich in mein Kleid geschlüpft, doch es dauerte eine Weile, bis ich mich erinnern konnte, wo ich meine Pantoffeln versteckt hatte, damit sie Ramses und seinem unersättlichen Löwen nicht in die Hände fielen. Schließlich hatte ich sie gefunden, und Sekunden später stand ich draußen neben Abdullah.
»Schauen Sie!« sagte er und deutete in die Wüste, wo in einiger Entfernung ein helles Feuer loderte. Die Szene hatte etwas Gespenstisches, weil kein Laut zu hören war. Nur ganz in der Ferne heulte ab und zu ein Schakal. Einige Augenblicke lang fühlte ich mich in das alte Ägypten versetzt, doch dann besann ich mich. Nachdem ich festgestellt hatte, daß der Feuerschein nicht aus der Richtung des Dorfes kam, rief ich: »Rasch! Wir müssen die Stelle erreichen, bevor das Feuer heruntergebrannt ist.«
»Sollen wir nicht doch lieber den >Vater der Flüche< wecken?« fragte Abdullah nervös.
»Das würde viel zu lange dauern. Beeilen Sie sich, Abdullah!«
Das Feuer war gar nicht so weit entfernt, wie es ausgesehen hatte, aber trotzdem waren nur noch glühende Reste vorhanden, als wir endlich davorstanden. Abdullah zog unbehaglich die Schultern hoch und blickte nur ein einziges Mal hin. Irgendwie verstand ich seine Gefühle, denn die Überreste hatten verdächtig menschliche Konturen.
Wir fuhren beide herum, als wir plötzlich hinter uns rennende Schritte und schweres Atmen hörten, doch Abdullah erkannte Emersons Geräusche genauso schnell wie ich. Er brachte sich rechtzeitig hinter mir in Sicherheit, doch es gelang mir in letzter Sekunde, meinen Mann von einem wütenden Angriff auf meinen vermeintlichen Entführer abzuhalten. Nachdem ich die Situation erklärt hatte, schüttelte Emerson sich wie ein großer Hund. »Ich wünschte, du hättest mich nicht so erschreckt, Peabody!« klagte er. »Als ich mit der Hand dein Bett berührte und spürte, daß du verschwunden warst, fürchtete ich das Schlimmste.«
Er hatte nur schnell seine Hose angezogen, bevor er losgelaufen war. Seine breite Brust hob und senkte sich immer noch heftig, und die lockigen Haare hingen ihm in die Stirn. Ich bekämpfte meine heftigen Gefühle mit Erfolg und erzählte, wie alles angefangen hatte.
»Hm«, machte Emerson, während er die glimmenden Überreste betrachtete. »Der Umriß ist sehr seltsam, nicht wahr?«
»Vor kurzem war es noch scheußlicher. Aber es kann kein menschlicher Körper gewesen sein, Emerson, denn der würde niemals so vollständig verbrennen.«
»Das stimmt, Peabody.« Emerson kniete sich hin und streckte die Hand aus. »Autsch!« rief er und steckte den Finger in den Mund.
»Sei vorsichtig, mein lieber Emerson.«
»Eile ist geboten, Peabody, denn es ist ohnehin fast nur noch Asche übrig. Einig Minuten später …« Er schaffte es, ein kleines, nur wenige Zentimeter langes Stück herauszuziehen. Es schrumpfte noch weiter, während er es von einer Hand in die andere warf, aber er hatte bereits genug gesehen.
»Ich glaube, wir haben den fehlenden Mumiensarg gefunden, Peabody.«
»Bist du sicher?«
»Ja, hier sind Reste der Lackschicht. Möglicherweise ist es einer von unseren …«
»Heute nacht hat sich niemand unserem Haus genähert«, versicherte Abdullah.
»Dann ist es der, der der Baronin gehört hat«, sagte ich.
»Nicht notwendigerweise«, sagte Emerson. »Es gibt sicher noch vier- bis fünftausend dieser Dinger, die nicht durch unsere Hände gegangen sind!«
»Verzweifle nicht, mein lieber Emerson«, riet ich. »Ich bin fest davon überzeugt, daß es der Sarg war, den wir gesucht haben. Nur schade, daß so wenig von ihm übriggeblieben ist.«
»Das überrascht mich gar nicht, denn er bestand ja nur aus der Lackschicht auf Papiermaché, und das brennt bekanntlich wie Zunder.«
»Kannst du mir erklären, weshalb ein Dieb die Mühe auf sich nimmt und solch ein Ding stiehlt, nur um es dann zu zerstören?«
Darauf wußte er keine Antwort. Wir schauten einander ratlos an, während hinter uns langsam die Sonne aufging.
Voller Befriedigung musterte ich unsere kleine Gesellschaft, bevor wir
Weitere Kostenlose Bücher