Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
hätten wir das Inventar vergleichen können!«
»Aber Ramses war dort. Sollen wir ihn wecken?«
»Ich würde den Jungen lieber aus derartigen Sachen heraushalten, Amelia. Deshalb habe ich ja gewartet, bis er in seinem Zimmer war.«
»Emerson, ich fürchte, du unterschätzt deinen Sohn. In den letzten Wochen hatte er mit der Polizei zu tun, wurde in ein Bettuch gewickelt und wäre fast im Sand begraben worden. Außerdem hat er einen Löwen gestohlen und eine Leiche examiniert, ohne daß es ihm etwas ausgemacht hätte.«
Emerson gab nach, denn auch er war mittlerweile neugierig geworden. Ich war sicher, daß Ramses noch wach war, und der Lichtschein unter seiner Tür bestätigte meine Vermutung. Emerson klopfte, und kurze Zeit später erschien Ramses’ Wuschelkopf im Türspalt. Er war zwar schon im Nachthemd, aber die Lampe brannte noch, und auf dem Tisch häuften sich unzählige Papiere. Das koptische Wörterbuch lag aufgeschlagen obendrauf.
Emerson erklärte seine Absicht, und Ramses nickte. »Ich glaube, ich kann mich erinnern. Wollen wir in den Wohnraum gehen?«
Auf meinen Vorschlag hin schlüpfte Ramses in seinen Morgenmantel und nur in einen Pantoffel, weil der zweite leider nicht zu finden war. Nachdem Emerson dem kleinen Löwen großzügig seinen Schnürsenkel überlassen hatte, zogen wir uns in Bastets Begleitung in den Wohnraum zurück. Emerson zückte seinen Federhalter, und Ramses schloß die Augen und begann: »Ein Fkarabäuf auf blauer Fayence mit einem Gebet an Ofirif, ein Ftück Leinenftoff, ungefähr zehn mal vierzig Zentimeter, ein Tablett voll verfiedener zylindrifer Perlen, Teile einef Fargef auf römischer Zeit, beftehend auf den Füfen und Teilen def Deckelf, ein weiterer Farg auf der einundzwanzigften Dynaftie, der Ifebaket, einer Priefterin der Hathor, gehört hatte …«
Nach ungefähr zwanzig Minuten öffnete Ramses die Augen und fügte hinzu: »Daf ift allef, waf ich noch weif, Papa!«
»Sehr gut, mein Sohn! Bist du sicher, daß es außer den billigen Perlen keinen wertvollen Schmuck gab?«
»Kleinere wertvolle Gegenftände wurden bestimmt in den verfloffenen Fubladen aufbewahrt, Papa, aber weil Mama mir verboten hatte, irgend etwaf zu berühren, habe ich erft gar nicht verfucht, fie zu öffnen.«
»Schade«, bemerkte Emerson.
»Kannst du dich erinnern, welche Dinge gefehlt haben?« fragte ich. »Das beweist zwar noch nichts, denn Abd el Atti konnte den Gegenstand auch während des Nachmittags verkauft haben.«
»Möglich«, sagte Emerson und betrachtete die Liste. Doch kurze Zeit später feuerte er sie auf den Boden. Aufgeregt stürzte sich Bastet auf das Papier und begann, damit zu spielen. »Ich will nicht schon wieder über Mumiensärge sprechen. Peabody!«
»Aber fie tauchen immer wieder überall auf, nicht wahr?« sagte Ramses. »Ich glaube, daf der Mumienfarg der Baronin ein Flüffel zu diefem Fall ift. Bevor wir daf nicht erklären können, werden wir nicht weiterkommen.«
»Ich stimme dir zu, Ramses«, sagte ich. »Und ich habe eine Idee.«
Ramses entwand Bastet die Liste, und Emerson starrte vor sich hin. Da keiner nach meiner Idee gefragt hatte, sprach ich einfach weiter. »Wir haben festgestellt, daß jemand in Dahschûr Schätze gefunden hat und weitere zu finden hofft.«
Emerson schüttelte den Kopf. »Das ist nur eine Möglichkeit, Peabody.«
»Aber wenn man das Unmögliche aufflieft, dann muf daf übrige, auch wenn ef unerklärlich ift, die Wahrheit enthalten«, sagte Ramses weise, während er sich wieder setzte.
»Gut, mein Sohn. Sehr gut sogar!« rief sein Vater.
»Hört mir doch zu!« rief ich ungeduldig. »Gold und Juwelen haben schon immer Gewalttätigkeiten ausgelöst, aber ein ganz gewöhnlicher Mumiensarg doch nicht! Ich frage euch: Was ist eigentlich ein Mumiensarg?« Ich machte eine Pause, um meine Worte gebührend wirken zu lassen, doch Ramses und Emerson starrten mich nur an. »Er ist ein Behälter!« rief ich. »Ein Behälter für eine menschliche Leiche. Aber vielleicht wurde unser Mumiensarg als Versteck für kleine wertvolle Dinge wie Antiquitäten benutzt? Die Baronin hätte sie ungefährdet mit außer Landes nehmen können, denn sie war bei den Behörden bestens bekannt und besaß bestimmt Ausfuhrgenehmigungen für die von ihr erworbenen Antiquitäten. Bei ihr würde niemand verborgene Wertsachen vermuten oder gar suchen.«
»Dieser Gedanke ist mir auch schon gekommen«, sagte Emerson, während er sich nachdenklich sein Kinn rieb. »Aber
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