Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
gefunden, das Porträt in die Verpackung zurückzulegen, aber ich sagte nichts, sondern befestigte die Polsterung vorsichtig über dem Porträt und band sie mit einigen Bändern fest. Dann wickelte ich die Mumie in die Decke und legte sie John in die Arme. Mit der Lampe in der Hand begleitete ich ihn auf seinem schweren Gang.
Nachdem wir die Mumie sicher verstaut und den Raum wieder abgeschlossen hatten, bedankte ich mich bei ihm und wollte ihn wieder in sein Zimmer schicken, doch er bat mich, noch ein wenig bleiben zu dürfen.
»Aber natürlich, John! Sie sind uns immer willkommen!«
Als wir an Ramses’ Zimmertür vorbeigingen, sah ich wieder einmal den vertrauten Lichtschein unter der Tür. Ich war ein wenig überrascht, daß der kleine Wuschelkopf sich nicht sehen ließ, denn normalerweise war er schrecklich neugierig. Ich klopfte. »Es ist Zeit zum Schlafen, Ramses.«
»Ich arbeite gerade, Mama! Kann ich noch eine halbe Ftunde aufbleiben? Bitte!«
»Woran arbeitest du?«
Nach einer Pause: »An dem koptifen Manufkript, Mama.«
»Du wirst dir deine Augen verderben, wenn du die blasse Schrift bei Lampenlicht liest! Also gut, eine halbe Stunde.«
»Danke, Mama! Gute Nacht, Mama! Gute Nacht, John!«
»Gute Nacht, Master Ramses!«
»Woher hat er nur gewußt, daß Sie bei mir waren?« überlegte ich laut, doch John zuckte nur die Achseln.
Als wir ins Wohnzimmer traten, war Emerson gerade damit beschäftigt, die Papiere aufzusammeln. »Welch ein Durcheinander. Helfen Sie mir bitte, John!«
John beeilte sich, Emerson den Gefallen zu tun, und als er damit fertig war, fragte er eifrig: »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Sir?«
»Nein, danke. Sortieren muß ich sie selbst. Lesen Sie lieber wieder Ihre Bibel!«
John warf mir einen flehenden Blick zu. »John möchte noch ein wenig bei uns bleiben, Emerson. Los, John, setzen Sie sich!«
John setzte sich vorne auf die Stuhlkante, legte die Hände auf seine Beine und starrte Emerson unverwandt an. Da es unmöglich war, angesichts dieses Monuments zu arbeiten, legte Emerson nach kurzer Zeit den Federhalter weg. »Sie scheinen ein Problem mit sich herumzutragen, John. Was macht Ihnen denn Kummer?«
John kratzte sich verlegen am Kopf. »Nun, Sir …«
»Ich nehme an, es geht um die junge Dame, nicht wahr? Geben Sie es auf, John. Sie hat ihr Herz an die Brüder Ezekiel und David verschenkt und an Jesus – natürlich nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.«
»Emerson, du bist brutal«, sagte ich.
»Bin ich nicht!« Emerson war beleidigt. »Ich will ihm nur helfen, aber wenn er an dieser Bindung festhält, werde ich ihm nicht im Wege stehen. Habe ich etwa versucht, ihn von den allabendlichen Besuchen abzuhalten? Was tun Sie eigentlich dort, John?«
»Nun, Sir, wir unterhalten uns.«
Als Emersons Mund sich zu seinem breiten Grinsen verzog, hustete ich diskret, doch John hatte glücklicherweise nichts bemerkt. »Bruder Ezekiel erzählt von seiner Jugend«, berichtete John weiter. »Seine Mutter muß ihm jede Sünde einzeln aus dem Leib geprügelt haben. Manchmal erzähle ich auch, was sich hier tut …«
»Sie klatschen über uns?« fragte Emerson mitleidslos.
»O nein, Sir! Ich würde niemals über Sie oder Mrs. Emerson sprechen. Ich erzähle höchstens Master Ramses’ kleine Abenteuer. Außerdem erklärt mir Bruder David die Bibel und hilft mir beim Lesen.«
»Und über was unterhält sich Charity?« fragte ich.
»Sie spricht kein Wort. Sie näht immer nur Hemden.«
»Das hört sich alles ziemlich langweilig an«, meinte Emerson.
»Nun, Sir, ich würde es nicht langweilig nennen, höchstens nicht gerade aufregend, falls Sie verstehen, was ich meine.«
»Aha!« rief Emerson lachend. »Amelia, ich glaube, für den jungen Mann besteht noch Hoffnung. Sie sollten Ihre Abende lieber mit Abdullah und seinen Männern verbringen, um Ihr Arabisch zu verbessern. Dort geht es sicher lebendiger zu!«
»Nein, Sir, das kann ich nicht. Um die Wahrheit zu sagen, mache ich mir Sorgen wegen der Missionare. Es gibt immer weniger Bekehrte, und eines der Kinder hat neulich sogar einen Stein nach Charity geworfen! Es hat auch noch andere Vorfälle gegeben.«
»Hm«, machte Emerson und strich sich über das Kinn. »Sie bestätigen nur meine eigenen Befürchtungen, John. Wir müssen etwas unternehmen. Ich bin froh, daß Sie es mir gesagt haben, John, aber jetzt ist es Zeit fürs Bett. Mrs. Emerson und ich werden uns der Sache annehmen.«
Nachdem John gegangen war, sagte
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