Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
Emerson: »Ich habe sofort gespürt, daß er etwas auf dem Herzen hatte, Amelia. Ein bißchen Entgegenkommen und Freundlichkeit ist alles, was man braucht, um das Vertrauen eines jungen Mannes wie John zu gewinnen!«
»Hm«, machte ich. »Was willst du unternehmen, John?«
»Ich wünschte, die Leute würden ihre Probleme selbst lösen und nicht immer Hilfe von mir erwarten! Ich weiß noch nicht, was ich tun werde, Amelia. Jetzt jedenfalls muß ich arbeiten.«
Seine Feder kratzte wieder über das Papier, doch ich konnte mich nicht konzentrieren. Immer wieder sah ich das Bild der ägyptischen Schönheit vor mir und überlegte, wie die Einzelteile wohl zusammenpassen konnten. Langsam und vorsichtig streckte ich die Hand nach der Liste aus, die Emerson nach Ramses’ Angaben geschrieben hatte. Emerson war so vertieft, daß er nicht merkte, daß ich die Liste zu mir herüberzog.
Die Erkenntnis überfiel mich nicht mit aller Macht, sondern schlich sich langsam in meinen Kopf. Ein Detail verband sich mit dem nächsten …
Als das Kratzen von Emersons Feder aufgehört hatte, blickte ich auf und sah, daß er mich beobachtete. »Läßt es dich nicht los, Amelia?«
»Ich glaube, ich habe die Lösung gefunden«, sagte ich und hielt die Liste hoch.
»Eine der Lösungen, Peabody.«
»Hast du eine neue Theorie, Emerson?«
»Mehr als das, mein Liebling. Ich weiß, wer Hamid und Abd el Atti ermordet hat.«
»Ich auch, Emerson.«
Emerson lächelte. »Ich dachte, daß du das sagen würdest, Peabody. Nun gut, sollen wir wieder einmal einen dieser schönen Wettbewerbe starten, wo jeder die Lösung in einem versiegelten Umschlag hinterlegt, der erst nach der Verhaftung des Mörders geöffnet werden darf?«
»Das ist nicht nötig, mein lieber Emerson, denn ich würde dein Wort niemals anzweifeln, wenn du behauptest, es längst gewußt zu haben. Eine Erklärung, wie du zu der Lösung gekommen bist, genügt.«
Emerson dachte nach, doch die Vorteile, die dieser Vorschlag bot, waren nicht zu übersehen, so daß er nicht lange nachdenken mußte. Er strahlte mich grinsend an und nickte zustimmend. »Dieses Kompliment kann ich nur zurückgeben. Deine Hand darauf, meine liebe Peabody!«
Ich habe nicht mehr und nicht weniger als die Wahrheit gesagt, als ich Emerson mitteilte, daß ich die Identität des Mörders entdeckt hatte. Allerdings kann ich an dieser verschwiegenen Stelle ja zugeben, daß mir immer noch verschiedene Verbindungsglieder fehlten. Als ich überlegte, wie ich am besten an die fehlenden Informationen kommen konnte, kam mir der Zufall zu Hilfe. Wir entdeckten nämlich den Eingang zu unserer Pyramide.
Mittlerweile war ich völlig vom Detektivfieber ergriffen, so daß ich eine so aufregende Sache völlig ruhig zur Kenntnis nehmen konnte. Das geheimnisvoll gähnende Loch im Boden erregte meine Fantasie kurzfristig auf das heftigste, so daß Emerson mich energisch am Hinuntersteigen hindern mußte.
Nach einer kurzen Inspektion tauchte er völlig staubbedeckt wieder auf und schnappte nach Luft. »Der Gang ist in schlechtem Zustand, Peabody. Einige Steine der Seitenwand sind herausgebrochen und müssen erst abgestützt werden, bevor sich irgend jemand hineinwagen kann.«
Seine Augen musterten die Arbeiter, die aufgeregt das Loch umstanden, und blieben auf Mohammed haften. Er war kurz und dick und der geschickteste Zimmermann weit und breit – und er wußte, daß wir keinen besseren Mann für diese Aufgabe finden konnten.
Emerson grinste ihn freundschaftlich an. »Seien Sie vorsichtig, Mohammed. Ich glaube, wir haben noch einige Bretter vom Bau des Eselstalls übrig. Fangen Sie mit diesen an, bis ich aus dem Dorf neue besorgt habe.«
»Du könntest einen der Männer hinschicken«, sagte ich, als wir davongingen, während Abdullah seine Anweisungen gab.
»Könnte ich«, stimmte Emerson zu.
»Ich werde dich begleiten.«
»Das dachte ich mir, Peabody.«
»Und danach noch ein kurzer Besuch bei de Morgan?«
»Du kannst meine Gedanken lesen, Peabody! Eine kleine Rundreise zu allen Verdächtigen!«
»Zu Verdächtigen, Emerson? Du sagtest, du wüßtest die Antwort.«
»Weißt du, eine kriminelle Verschwörung ist doch ein bißchen komplizierter. Da sind eine Menge Leute beteiligt.«
»Wie recht du hast, Emerson.«
Er grinste und gab mir einen aufmunternden Klaps auf die Kehrseite. »Außerdem möchte ich kurz mit den Missionaren reden. Das habe ich John versprochen … Einen Augenblick, Peabody. Wo ist
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