Amelia Peabody 04: Im Tal der Sphinx
Lob ist nicht erforderlich. Tue einfach, was ich dir gesagt habe, und alles erledigt sich von selbst. Äh – du kannst dich zurücklehnen und einen Schwächeanfall vortäuschen. Da vorn ist das Hotel, und ich sehe schon, wie Emerson über die Terrasse stürmt.«
Selim sank in sich zusammen und stöhnte so hervorragend, daß er Emerson, der mich gerade mit einer Standpauke empfangen wollte, gänzlich ablenkte. »Gütiger Himmel«, brüllte er, als er einen Blick in die Kutsche warf. »Was ist passiert? Ist er tot? Selim, mein Junge …«
»Ich bin nicht tot, aber ich werde sterben«, stöhnte Selim. »Ehrenwerter Vater der Flüche, richte meinem Vater meine Grüße aus, meinen Brüdern Ali und Hassan und …«
Ich stieß ihn unsanft mit meinem Sonnenschirm an. Selim setzte sich abrupt auf. »Vielleicht sterbe ich ja doch nicht. Ich glaube, ich werde wieder gesund.«
Emerson kletterte in die Kutsche und warf die Tür hinter sich zu. »Zum Bahnhof«, wies er den Kutscher an.
»Aber, Emerson«, fing ich an. »Willst du denn gar nicht wissen …«
»Doch, in der Tat, Peabody. Du kannst mir alles auf der Fahrt erzählen. Wenn wir uns beeilen, erreichen wir noch den Nachmittagszug.«
Er riß Selims Turban herunter. Der Junge stieß einen unterdrückten Schrei aus, und Emerson meinte kühl: »Ich erkenne deine Handschrift, Peabody. Drei Tropfen Blut und dafür gleich ein meterlanger Verband, hm? Erzähl mir alles von Anfang an.«
Der Bericht war recht umfangreich, da ich mit meinem Treffen mit Mr. Gregson beginnen mußte und mich Emerson zu Beginn ständig unterbrach. »Du mußt vollkommen den Verstand verloren haben, Peabody«, schnauzte er. »Diesem Kerl in die Altstadt zu folgen, nur weil er dir eine fadenscheinige Geschichte aufgetischt hat … Wer ist er denn überhaupt? Du kennst ihn ja noch nicht einmal!«
Ich blieb standhaft, und als wir schließlich den Bahnhof erreichten, hatte ich ihm die abgeänderte Version der Wahrheit, auf die ich mich mit Selim geeinigt hatte, erzählt. Emersons einziger Kommentar war ein Brummen. Er warf dem Kutscher einige Geldstücke zu, half Selim mit einer Vorsicht aus der Droschke, die man seiner aufgebrachten Erscheinung gar nicht zugetraut hätte und eilte mit uns in Richtung Zug. Wir gerieten in eine kleinere Auseinandersetzung, als wir Selim mit in unser Erster-Klasse-Abteil nehmen wollten. Aber Emerson brachte den Schaffner mit einem Bestechungsgeld und einigen kräftigen Flüchen zum Schweigen, woraufhin sich die anderen Passagiere leise murmelnd aus dem Staub machten.
»Ah«, sagte Emerson ausgelassen. »Sehr gut. Wir haben das Abteil ganz für uns allein. Jetzt können wir diese bemerkenswerte Geschichte in aller Ruhe besprechen.«
»Zuerst«, sagte ich in der Hoffnung, ihn abzulenken, »erzählst du mir, was du in den Souks erfahren hast.«
Er hatte – sofern ich ihm glauben konnte – mehr in Erfahrung gebracht als ich. Einer seiner Bekannten, dessen Identität Emerson allerdings nicht preisgeben wollte, behauptete, Kalenischeffs Mörder zu kennen. Der Killer war ein professioneller Auftragsmörder, der für jeden arbeitete, solange der Preis stimmte. Man munkelte, daß er gelegentlich für Sethos tätig war, jedoch nicht zu den offiziellen Mitgliedern der Bande zählte. Der Mann hatte Kairo kurz nach Kalenischeffs Tod verlassen, und niemand wußte, wo er sich aufhielt.
»Aber«, sagte Emerson mit zu Schlitzen verengten Augen, »ich bin auf seiner Fährte, Peabody. Letztlich wird er zurückkehren, denn Kairo ist die Stadt, in der er seine Geschäfte tätigt. Und wenn dem so ist, wird man mich darüber informieren.«
»Aber das kann Wochen oder sogar Monate dauern«, entfuhr es mir.
»Wenn du meinst, daß du es besser kannst, Peabody, kannst du es meinetwegen gern versuchen«, sagte Emerson. Dann schlug er sich mit der Hand vor den Mund. »Nein. Nein! Das habe ich damit nicht gesagt. Ich meinte …«
»Keine Sorge, mein lieber Emerson. Meine Äußerung sollte keine Kritik sein. Niemand außer dir hätte so viel in Erfahrung bringen können.«
»Hmhm«, meinte Emerson. »Und was hast du herausgefunden, Peabody? Du schmeichelst mir doch nur, wenn du etwas zu verbergen hast.«
»Das ist ungerecht, Emerson. Ich habe oft …«
»Tatsächlich? Ich kann mich nicht erinnern, daß …«
»Ich habe die größte Hochachtung vor …«
»Ständig hintergehst du mich und …«
»Ich …«
»Du …«
Stöhnend sank Selim gegen Emersons breite Schulter. Ich nahm ein
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