Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
Die Zeitungen haben über unsere Aktivitäten bis ins kleinste Detail berichtet. Außerdem standen unsere Namen auf der Passagierliste; jeder, der unsere Ankunftszeit wissen wollte, hätte sie bei der Dampfschiffahrtsgesellschaft in Erfahrung bringen können.«
»Das würde das Verhalten der jungen Dame erklären«, gestand Emerson. »Welch eine ungewöhnliche Geschichte, Peabody.«
»Daß eine Frau den Beruf der Journalistin ausübt? Ungewöhnlich gewiß, aber zweifellos lobenswert. Auch wenn ich diesen Berufsstand zutiefst verabscheue, erfüllt es mich doch mit Befriedigung, daß meine Schwestern das Wagnis –«
»Du hast mich mißverstanden. Das Ungewöhnliche war die Ähnlichkeit.«
»Mit wem, Emerson?«
»Mir dir, Peabody. Ist dir das nicht aufgefallen?«
»Unsinn«, erwiderte ich, während ich meine Haarnadeln löste. »Da war nicht die Spur einer Ähnlichkeit.«
»Bist du sicher, daß du keine Schwester hast?«
»Ganz sicher. Sei nicht töricht, Emerson.«
Roses Erscheinen beendete die Diskussion. Erneut suchte Emerson in seinem Ankleidezimmer Zuflucht, während Rose mein Kleid zuknöpfte und mein störrisches Haar zu bändigen versuchte. Da Emerson die Tür nicht verschlossen hatte, hörte ich, wie er vor sich hin murmelte. Als er wieder auftauchte, war er komplett ausstaffiert – bis auf seine Krawatte und seine Manschettenknöpfe, die er nie findet. Immer noch leise vor sich hin brummelnd, durchforstete er meine sämtlichen Toilettenartikel auf der Suche nach den fehlenden Accessoires.
Rose fand sie auf ihrem angestammten Platz in der obersten Kommodenschublade und trat auf Emerson zu. »Wenn Sie erlauben, Sir –«
»Oh. Vielen Dank, Rose. Haben Sie die junge Dame bemerkt, die vorhin am Eingangstor stand?«
»Nein, Sir. Während meiner Arbeitszeit verschwende ich keinen Blick nach draußen.«
»Eine faszinierende Ähnlichkeit mit Mrs. Emerson«, sagte mein Gatte, während er auf eine unwirsche Bewegung von Rose bereitwillig sein Kinn reckte.
»Tatsächlich, Sir?«
Ihre knappen, unterkühlten Antworten waren völlig untypisch für Rose, die sich normalerweise hervorragend mit uns beiden verstand und die oft auch den städtischen Klatsch oder freundliche Ratschläge mit mir austauschte, während sie mir beim Ankleiden half. Als ich mich zu ihr umdrehte, bemerkte ich, daß sie Emerson einer kleineren Tortur unterzog, indem sie ihn mit den Manschettenknöpfen malträtierte.
»Wo ist Ramses?« wollte ich wissen. »Er war nicht in der Eingangshalle, obwohl er bei irgendwelchen Vorkommnissen normalerweise als erster auf den Plan tritt.«
Ein lautes, ziemlich feuchtes Schniefen war die einzige Reaktion von Roses Seite. Emerson schnaubte. »Ramses ist bei mir in Ungnade gefallen. Er bleibt so lange auf seinem Zimmer, bis ich ihm gestatte, wieder herauszukommen. Sie gesellen sich besser zu ihm, Rose; ich traue ihm nicht … Autsch!«
Der Aufschrei wurde aufgrund von Roses Bemühung provoziert, ihm den Arm umzudrehen, während sie den Manschettenknopfbefestigte. »Ja, Sir«, schniefte sie. Dann drehte sie sich so zackig wie ein Paradesoldat um und marschierte aus dem Zimmer.
»Du hast Rose beleidigt«, sagte ich.
»Ständig ergreift sie Partei für ihn«, brummte Emerson. »Hast du gesehen, was sie getan hat, Peabody? Sie hat ihre Fingernägel in meine Hand gekrallt.«
»Das war sicherlich unbeabsichtigt, Emerson. Rose verhielte sich niemals dermaßen kindisch. Warum steht Ramses unter Hausarrest?«
»Schau dir das einmal an.« Emerson deutete auf den Stapel Papier auf seinem Schreibtisch.
Dabei handelte es sich um das Manuskript zu der Geschichte des alten Ägypten; ich hatte es schon vorher bemerkt und war angenehm überrascht gewesen, Spuren von Aktivität darauf zu erkennen; allerdings hatten mich die weiteren Ereignisse abgelenkt und daran gehindert, es genauer in Augenschein zu nehmen. Jetzt trat ich an den Schreibtisch und nahm das oberste Blatt in die Hand. Es war eng mit Anmerkungen, Korrekturen und Verbesserungsvorschlägen beschriftet; ich wollte Emerson gerade zu seinem Fleiß beglückwünschen, als mir auffiel, daß es sich nicht um seine Handschrift handelte. Mir dämmerte, wessen Hieroglyphen ich da vor mir hatte.
»O nein«, murmelte ich. »Das würde er doch sicherlich nicht … Nun, in diesem Punkt hat er zumindest recht; das Datum der Anfänge der Vierten Dynastie –«
Emerson schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Fängst du auch noch an, Peabody? Schlimm genug, daß
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