Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amelia Peabody 05: Der Sarkophag

Amelia Peabody 05: Der Sarkophag

Titel: Amelia Peabody 05: Der Sarkophag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
Vom Netzwerk:
nicht etwa mein Beschützer und Bewacher, wie es sentimentale Geschichten vermuten lassen, sondern mein Peiniger und ein wahres Schreckgespenst. Er entführte meine Puppen und verlangte Lösegeld, das aus dem wenigen bestand, was ich von Verwandten an Geburtstagen und Weihnachten bekam. Wenn meine Barschaft nicht ausreichte, vernichtete oder verstümmelte er die Geiseln. In der Öffentlichkeit zwickte und kniff er mich; wenn ich mich zur Wehr setzte, schalt man mich als Störenfried. Der glücklichste Augenblick meiner Jugend war der Tag, als James ins Internat gesteckt wurde.
    Irgendwann verließen meine Brüder ihr Elternhaus, widmeten sich ihren beruflichen Karrieren und gründeten Familien, während ich zurückblieb und für Papa sorgte. Aufgrund seiner Unentschlossenheit und der Brutalität und Ignoranz meiner Brüder hatte ich von Männern keine gute Meinung und rechnete schon damit, als alte Jungfer zu versauern, da kaum Aussicht auf eine glückverheißende Eheschließung bestand.
    Rache ist süß, lautet ein altes Sprichwort. Rache ist einer Christin nicht würdig, sagt die Bibel. In diesem Fall irrt die Heilige Schrift. Wie sehr genoß ich doch die Wut meiner geschätzten Brüder, als sich herausstellte, daß Papa mir sein gesamtes Vermögen vermacht hatte! James versuchte tatsächlich, das Erbe mit der Behauptung gerichtlich anzufechten, daß ich einen hilflosen, betagten Vater ungebührlich beeinflußt habe. Dank Mr. Fletcher, Papas Geschäftspartner – und meines tadellosen Charakters –, wurde dieses Bestreben für nichtig erklärt, doch ist wohl kaum anzunehmen, daß mich diese Begebenheit meinem Bruder emotional näher brachte. Eine merkwürdige Annäherung zeichnete sich ab, als James an meiner Hochzeit teilnahm; dennoch hätte sein Gesichtsausdruck eher zu einem Begräbnis gepaßt, als ihm schließlich klar wurde, daß seine letzte Hoffnung auf mein Erbe in den Flammen ehelicher Zuneigung aufging. Seitdem waren wir uns nur ein einziges Mal begegnet: anläßlich einer Beerdigung – der meines Bruders Henry, der an einem Magenleiden verstorben war. (Das von ihren geschätzten Schwägerinnen in die Welt gesetzte Gerücht, seine leidgeplagte Gattin habe ihn vergiftet, war vermutlich falsch, trotzdem hätte ich es ihr nicht verdenken können, wenn sie es wirklich getan hätte.)
    Diese bezeichnenden Erinnerungen schossen mir in Lichtgeschwindigkeit durch den Kopf, und als ich mich schließlich wieder gefaßt hatte, bemerkte ich, daß das Gespräch versiegt war und alle, auch mein geliebter Emerson, mich anblickten. Zweifellos hatte er James’ Anliegen gehört, doch statt der von mir erwarteten harschen Zurückweisung schwieg er mit ungewöhnlich rätselhaftem Gesichtsausdruck, der mir keinerlei Aufschluß auf seine Gefühle bot.
    Die Ellbogen ungehobelt auf den Tisch aufgestützt, hielt James mit seinen dicken Fingern sein Glas umklammert und beugte sich vor. Seine geröteten Wangen waren schweißüberströmt; seine feisten Lippen zuckten, als er mit dem für ihn bezeichnenden Zynismus anhub: »Meine über alles geliebte Schwester –«
    Ich wandte mich von ihm zu Emerson. Welch ein Unterschied – welch ein himmelweiter Unterschied! Die wohlgeformten Lippen, die markanten, gebräunten Wangen und die stechend blauen Augen, der ungebändigte schwarze Lockenschopf, das energische Kinn mit dem Grübchen (das Emerson gelegentlich eher als Spalte zu bezeichnen pflegt). Eine wohlige, elektrisierende Wärme durchfuhr meine Glieder. Ich ignorierte sie – zumindest für den Augenblick.
    »Ich muß meinen Mann fragen«, sagte ich. »Eine solche Entscheidung kann ich nicht ohne seinen Rat und sein Einverständnis treffen.«
    Emerson riß seine Augen auf, um sie dann wieder vor unverhohlener Belustigung zusammenzukneifen. »Genau das hatte ich von dir erwartet, Peabody. Wichtige Angelegenheiten klären wir immer im beratenden Gespräch – nicht wahr?«
    »Mit Sicherheit nicht, Emerson. Wir lassen dich unsere Entscheidung wissen, sobald wir zu einer Klärung gelangt sind, James.«
    Doch James, typisch Mann, hatte keineswegs die Absicht, noch länger zu warten. Er schwankte auf seinem Stuhl zur Seite, streckte flehentlich die Hände aus – wobei ihm sein Glas entglitt – und wandte sich an Emerson. »Radcliffe – geschätzter Schwager, schön zu sehen, daß du der Herr im Haus bist. Eine prächtige Frau, meine Schwester – wenn auch etwas herrisch. Du sprichst mit ihr, was? Erklär ihr … die Pflichten einer

Weitere Kostenlose Bücher