Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
»Er mußte lediglich Maske, Perücke sowie sein Gewand ablegen und sich dann dem Besucherstrom anschließen. Es herrschte ein solches Chaos –«
»In diesem Fall muß er den Saal durch diese Tür verlassen haben«, bemerkte Emerson, in besagte Richtung deutend. »Wenn er sich unter die Menge gemischt hat, ist er durch den dritten ägyptischen Saal in Richtung Treppe gelaufen. Diese führt zur Skulpturenhalle; von dort aus konnte er den Haupteingang zur Great Russell Street erreichen. Nun, wir können ihm auf diesem Weg folgen. Einer der Aufseher hat vielleicht jemanden mit einem großen Paket oder einer Tasche bemerkt.«
»Die die Verkleidung enthielt?« fragte Seine Lordschaft. »Exzellent, Professor. Mrs. Emerson, darf ich Ihnen meinen Arm anbieten?«
»Wie Sie sehen, Ihre Lordschaft, habe ich selbst zwei – oder, um genau zu sein, drei, da ich zusätzlich zu meinen eigenen Extremitäten auch noch den meines Gatten zur Verfügung habe.«
Lord St. John grinste breit. »Sie verfügen über eine bezaubernde Schlagfertigkeit, Mrs. Emerson. Miss Minton, wie steht’s mit Ihnen?«
»Miss Minton verschwindet besser von der Bildfläche«, meinte Emerson stirnrunzelnd.
Budge sah sich gezwungen, ihm beizupflichten. »Ja, ja, verschwinden Sie, junge Frau. Und Sie auch, O’Connell. Ich bin immer bereit, nach vorheriger Absprache mit der Presse zu kommunizieren, aber ich wehre mich dagegen, mit irgendwelchen dahergelaufenen Journalisten –«
»Miss Minton ist keine dahergelaufene Journalistin«, erklärte Seine Lordschaft höflich. »Sie nehmen doch sicherlich nicht an, daß die Zeitung eine einfache junge Frau einstellte, wenn sie nicht über einflußreiche Beziehungen verfügte? Ihre Großmutter –«
»Wagen Sie es ja nicht weiterzureden«, kreischte Miss Minton.
»– ist die Herzoginwitwe von Durham und war früher eine enge – äh – Vertraute des Besitzers und Herausgebers des Morning Mirror. Die alte Dame ist eine glühende Verfechterin der Frauenbewegung und unterstützt die Bestrebung von Miss Minton – der ehrenwerten Miss Minton – voll und ganz …«
Sein Redefluß wurde von dem Aufschrei »Sie Schuft!« und einer winzigen behandschuhten Hand unterbrochen, die ihm einen gezielten Schlag auf den Mund verpaßte. Doch dann zerstörte Miss Minton den beeindruckenden Effekt ihrer Darbietung, indem sie in Tränen ausbrach und aus dem Saal stürmte.
Seine Lordschaft lachte. »Gott schütze die Damen und ihre zauberhafte Inkonsequenz! Sie wollen wie Männer behandelt werden, reagieren aber frauentypisch.«
»Auch wenn es mir schwerfällt, muß ich Ihnen recht geben«, erwiderte ich. »Die Tränen der jungen Dame waren sicherlich Tränen der Wut, aber sie waren völlig deplaziert. Ich werde ein Wörtchen mit Miss Minton zu reden haben.«
»Nein, das wirst du nicht«, knurrte Emerson. Aufgebracht fügte er hinzu: »Verflucht noch mal! Verflucht noch mal!« Dann wanderte sein Blick zu O’Connell, der aufgrund der Enthüllung von Miss Mintons wahrer Identität lediglich »Bei Gott!« gemurmelt hatte und dann in brütendes Schweigen verfallen war. »Kopf hoch, Mr. O’Connell«, meinte Emerson mitfühlend. »Warum folgen Sie der jungen Dame nicht einfach und versuchen, sie zu trösten?«
»Weil sie dann unweigerlich mit ihrem Schirm auf mich losginge«, entgegnete O’Connell.
»Überaus denkbar. Frauen können wahre Teufel sein, was?«
»Ja, Sir. Ich bin so froh, daß Sie nicht wütend auf mich sind, Professor. Sie verstehen, ich bin nur der Ausübung meines Berufes nachgegangen.«
»O ja, zweifellos.« Emerson feixte. »Und sollte noch einmal mein Name oder der von Mrs. Emerson in Ihrem lumpigen Blatt erscheinen, werde ich persönlich in Ihrem Büro auftauchen und Sie einen Kopf kürzer machen. Guten Tag, Mr. O’Connell.«
Hastig suchte O’Connell das Weite.
»Soviel zum Thema Presse, verflucht«, sagte Emerson voller Genugtuung. »Budge, Sie können ebenfalls verschwinden; Sie sind uns überhaupt keine Hilfe. Ihr verdammtes Katzbuckeln und Ihre leeren Höflichkeitsfloskeln haben mich lange genug aufgehalten.«
Wutschnaubend trollte sich Budge. Ich persönlich hatte das Gefühl, daß Emersons Zurechtweisung nicht ganz der Wahrheit entsprochen hatte. Höflichkeit hatte ihn noch nie von irgendwelchen Aktivitäten abhalten können. Gegenüber Seiner Lordschaft wahrte er weiterhin eine erstaunliche Toleranz; er hatte nichts dagegen, daß letzterer sich uns mit der Bemerkung anschloß, daß es schon
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