Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
eines Aufsehertrosses stürmte Budge auf mich zu.
»Was zum Teufel geht hier vor?« wollte er wissen. »Mrs. Emerson, ich bestehe –«
Emersons Gesicht tauchte hinter dem Vorhang auf. Seine Augen sprühten Blitze. »Achten Sie in Gegenwart meiner Frau auf Ihre Wortwahl, Budge!«
Budge drohte ihm mit seiner pummeligen Faust. »Kommen Sie sofort da raus, Professor!«
Emerson kam um den Vorhang herum. »Nichts als eine kahle Wand«, knurrte er.
»Und jede Menge Staub«, fügte ich hinzu, während ich Emersons Ärmel abklopfte. »Also wirklich, Mr. Budge, Ihr Reinigungspersonal –«
Budge hob beide Fäuste. »Raus!« brüllte er mit hochrotem Gesicht. »Raus, und das gilt für alle! Diese Galerie wird augenblicklich geschlossen!«
»Ein sinnvoller Entschluß«, pflichtete ihm Emerson bei. Er blickte zu den einzigen Personen, die sich noch im Raum befanden – den ehrgeizigen Journalisten O’Connell und Miss Minton und einer dritten, mir unbekannten Person. »Verfluchte Reporter«, brummte Emerson. »Schmeißen Sie sie raus.«
Die beiden blieben beharrlich stehen, nur besagter Dritter trat selbstbewußt lächelnd einen Schritt vor. Sein tadellos sitzender schwarzer Gehrock betonte eine schlanke, durchtrainierte Figur, obschon er nicht mehr der Jüngste war. Tiefe Falten durchzogen seine hohe Stirn und seine kantigen Wangen, und unter seinen Augen befanden sich auffällige Tränensäcke. Sein Seidenzylinder und das blütenweiße Leinenhemd waren von feinster Qualität, und seine behandschuhten Finger umklammerten den goldenen Knauf eines Spazierstocks.
»Ich bin sicher, diese Aufforderung gilt nicht für mich, Mr. Budge«, meinte er gedehnt.
Budges Verhalten änderte sich schlagartig. Er stammelte vor sich hin, verbeugte sich vor seinem Gegenüber und katzbuckelte. »Gewiß nicht, Ihre Lordschaft. Ihre Lordschaft ist immer willkommen. Falls Ihre Lordschaft sich dazu herablassen könnte –«
»Sie sind ein guter Junge, Budge«, sagte Seine Lordschaft mit der von Budge angesprochenen Herablassung. »Wollen Sie mich diesen Herrschaften nicht vorstellen? Ich weiß um die Reputation dieser Dame und dieses Herrn – wer wüßte das nicht? –, hatte aber bislang noch nicht das Vergnügen, sie persönlich kennenzulernen.«
Während Seine Lordschaft mich durch sein Monokel begutachtete, machte uns Mr. Budge stotternd miteinander bekannt. Energisch packte ich Emersons Hand, denn ich kenne seine tiefe Abneigung gegenüber Monokeln, zudringlichen Blicken und den Mitgliedern der Aristokratie; doch er sagte lediglich gönnerhaft: »Lord St. John St. Simon? Sie sind Canterbury’s jüngster Sohn, sehe ich das richtig?«
Seine Lordschaft lüftete den Hut und verbeugte sich. Obgleich er sein langes Haar sorgfältig mit Pomade in Form gebracht hatte, blieben mir die lichten Stellen an seinem Hinterkopf nicht verborgen. »Sie schmeicheln mir, Professor. Ich hätte nicht erwartet, daß Sie die Aktivitäten eines Dilettanten wie mir interessieren könnten.«
»Über Ihre Aktivitäten wurde umfassend berichtet«, erwiderte Emerson. »Sie sind, glaube ich, ein Freund des jungen Mannes, dessen Vater dem Museum den berühmten Sarkophag gestiftet hat?«
Das war mir neu, und mir leuchtete langsam ein, warum Emerson plaudernd verweilte, statt – wie von mir erwartet – die Verfolgung des falschen Priesters aufzunehmen.
»Ja, ja«, tat sich Budge wichtig. »Lord Liverpool ist ein herausragender junger Mann und ein großzügiger Förderer. Darf ich zu hoffen wagen, daß er Ihre Lordschaft heute begleitet hat?«
»Ich glaube, er ist hier irgendwo«, erwiderte Lord St. John, während er ein Gähnen hinter seinem tadellosen Handschuh verbarg.
»In der Tat? Ist er das tatsächlich? Dann muß ich ihn aufsuchen. Grüßen Sie ihn …«
Emerson starrte weiterhin auf Seine Lordschaft, bis selbst dieser blasierte Gentleman Anzeichen von Verunsicherung zeigte. Seinen Spazierstock in der Hand drehend, fragte er: »Also, Professor, was nun? Ich hatte erwartet, daß Sie die Verfolgung des Priesters aufnähmen. Mit großem Brimborium und so weiter. Oder stimmen auch Sie den Aussagen einiger Reporter zu, daß er übersinnliche Kräfte hat und sich in Luft auflösen kann?«
»Humbug«, brummte Emerson.
»Ganz recht, Professor. Und doch verschwand er spurlos hinter diesem Vorhang. Ich hörte, wie Sie sagten, daß es keine Tür, keinen Ausgang –«
»Selbstverständlich liegt die Antwort klar auf der Hand, Ihre Lordschaft«, bemerkte ich.
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