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Amelia Peabody 05: Der Sarkophag

Amelia Peabody 05: Der Sarkophag

Titel: Amelia Peabody 05: Der Sarkophag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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den Papyrus von Ani, ein Prunkstück des Museums, das Budge unter den fragwürdigsten Bedingungen selbst erstanden hatte. Da es sich um einen Begräbnispapyrus handelt, war es vermutlich entschuldbar, daß er diesen zur Veranschaulichung des Totenrituals hinzuzog; doch das versammelte Publikum, das von Prinzessinnen, Flüchen und dem Zauber des alten Ägypten hören wollte, wirkte zunehmend gelangweilter. Die Damen stellten ihr Flüstern und Kichern ein, und einige Besucher suchten das Weite.
    Budge leierte seinen Vortrag herunter. »Das Herz des Verstorbenen wurde gegen die Feder aufgewogen, dem Symbol von Recht und Wahrheit oder Gesetz. Diese Zeremonie wurde durchgeführt …«
    Zum ersten Mal belebte Emerson den Vortrag nicht mit seinen sarkastischen Kommentaren. Er fingerte an seinem Bart herum (vermutlich juckte ihn der Klebstoff) und ließ seinen Blick durch den Saal schweifen. Da ich nicht über seine beachtliche Größe verfügte, konnte ich nur wenig sehen, aber ich erkannte Kevin O’Connell trotz der Tatsache, daß er sein Haar unter seiner tief ins Gesicht gezogenen Kappe verborgen hatte. Nicht weit von ihm befand sich ein mir vertrautes safrangelbes (oder goldrutenfarbiges) Kostüm, und insgeheim bewunderte ich Miss Minton für ihren unermüdlichen beruflichen Ehrgeiz. Sie hatte es nicht für nötig befunden, mich über ihr Vorhaben zu informieren, dem Vortrag beizuwohnen, aber das beruhte auf Gegenseitigkeit.
    Einige Leute gingen, und andere stießen dazu. Niemand hielt sie davon ab, obgleich der Raum zunehmend stickiger und beengter wurde. Die Aufseher waren in den für ihren Berufsstand charakteristischen Dämmerschlaf verfallen, und in diesem Fall konnte man ihnen das kaum verübeln.
    Nachdem er sich lang und breit über die spirituellen Aspekte des ägyptischen Begräbnisrituals ausgelassen hatte, wandte sich Budge den Einbalsamierungsmethoden zu, und das Publikum horchte auf. Die Standardbeschreibungen Herodots wurden mit entsprechendem Zusammenzucken und entsetztem Gemurmel aufgenommen. »Die vorrangige und aufwendigste Methode bestand darin, das Gehirn mit einem Eisenhaken aus der Nase zu ziehen und die Gedärme mit Hilfe eines seitlichen Einschnitts komplett aus dem Körper zu entfernen. Die Gedärme wurden gesäubert und in Palmwein gewaschen …«
    Allerdings war es uns bei dieser Gelegenheit nicht vergönnt zu erfahren, was mit diesen unappetitlichen Organen später geschah. Ein Großteil der Zuhörer konzentrierte sich auf den Vortrag oder döste vor sich hin; Budge feixte in die Kamera. Für die meisten Anwesenden mußte die Gestalt so plötzlich aufgetaucht sein, daß es fast übersinnlich wirkte – eine von Kopf bis Fuß in fließende weiße Gewänder gehüllte Gestalt mit einem Umhang aus Leopardenfell.
    Meine Finger umklammerten Emersons Arm. Seine angespannten Muskeln waren hart wie Granit, aber er rührte sich nicht. Ich wußte, was in ihm vorging; es war besser, wenn er wartete, bis der Verrückte mitten im Raum stand, umringt von mehreren Dutzend Personen und ohne erkennbare Fluchtmöglichkeit. Es gab ohnehin nur zwei – die jeweiligen Ein- und Ausgänge an beiden Enden des Saals.
    Budge gehörte zu den letzten, die den Neuankömmling bemerkten. Er brach mit einem kreischenden Überraschungsschrei ab, und als die stattliche Gestalt durch eine hastig von den Zuschauern geräumte Schneise langsam auf ihn zuschritt, schrak er zurück.
    »Schnappt ihn euch!« schrie er. »Warum steht ihr einfach nur so da? Laßt ihn nicht näher kommen!«
    Diese Worte galten vermutlich den Aufsehern, von denen die meisten aufgrund der Erscheinung wie gelähmt waren. Schließlich trat einer von ihnen, der etwas beherzter und weniger verschlafen wirkte, auf den »Priester« zu.
    »Stehenbleiben!« Die Stimme schallte mit einem hohlen Nachhall durch die Maske. Ramses hätte sicherlich behauptet, der Bursche habe seine Rolle einstudiert; sein Tonfall wurde tiefer und bestimmender als vorher, und er hob seine Hand mit einer feierlichen Geste, deren Würde den berühmten Sir Henry Irving sicherlich mit Neid erfüllt hätte.
    »Wer mich berührt, tut es auf eigene Gefahr!« warnte die sonore Stimme. »Wer seine unselige Hand an die Auserwählten der Götter legt, wird sterben.«
    Atemloses Schweigen trat ein, das lediglich von den aufgeregten Bemühungen des Fotografen unterbrochen wurde, der ein neues Negativ einzulegen versuchte. Mit getragener und noch ehrwürdigerer Stimme fuhr der »Priester« fort:

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