Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
Ruhe sein Frühstück eingenommen hatte. Es war schon fast zu spät; Mary Ann verließ den Raum, als Emerson eintrat und sie mit der ihm eigenen Herzlichkeit begrüßte. »Hallo, da ist ja unsere Susan. (Es bereitet ihm immense Schwierigkeiten, sich die Namen der Bediensteten zu merken.) Sind das zufällig … Nun, auch egal, ich habe ohnehin nicht die Zeit, sie zu lesen. Heute morgen bin ich in großer Eile.«
Mich begrüßte er gleichermaßen ausgelassen – vermied jedoch sorgfältig meinen Blick. »Guten Morgen, guten Morgen, meine liebe Peabody. Welch ein herrlicher Morgen. (Der Nebel war so undurchdringlich, daß man kaum den Gartenzaun erkennen konnte.) Guten Morgen – äh – Frank. (Der Name des Dieners lautete Henry.) Was gibt’s zum Frühstück? Hering – nein, danke, ich verabscheue diesen Fisch, er besteht nur aus Gräten und Haut. Eier mit Schinken, wenn ich bitten darf, John. (Der Name des Dieners hatte sich nicht geändert, er hieß immer noch Henry.) Heute morgen bin ich in großer Eile.«
Während er sprach, durchwühlte er die Briefe, riß einige auf und überflog sie, bevor er sie zu Boden warf.
»Wohin willst du denn so eilig, Emerson?« wollte ich wissen. »John – äh – Henry, bringen Sie frischen Toast. Dieser hier ist schon ziemlich kalt.«
»Wieso, ins Museum natürlich«, erwiderte Emerson. »Ich muß dieses Manuskript fertigstellen, Peabody; hier ist eine weitere unverschämte Anfrage meines Verlegers, wann er endlich damit rechnen kann. Eine verfluchte Dreistigkeit!« Und das Schreiben der Oxford University Press sauste ebenfalls zu Boden.
Es war schon gut, daß ich mich dazu entschlossen hatte, bei allen Themen vornehmes Schweigen an den Tag zu legen, denn Emerson gab mir ohnehin keine Gelegenheit zum Reden. »Und wie geht es den lieben Kindern heute morgen? Ich weiß, daß du bei ihnen warst; deine mütterlichen Gefühle sind so – äh – so … Finden Sie nicht auch, Mrs. Waters?«
Die Haushälterin, die darauf wartete, die täglichen Haushaltsangelegenheiten mit mir zu besprechen, nickte lächelnd. »Ja, Sir. Den Kindern geht es gut, Sir. Außer daß der junge Herr Ramses noch schläft; und obwohl mir der Hinweis außerordentlich schwerfällt, aber in seinem Zimmer ist ein merkwürdiger Geruch von –«
»Äh-hm, ja«, sagte Emerson. »Ich weiß, Mrs. Watkins. Ganz recht.«
»Da fällt mir ein«, bemerkte ich an die Haushälterin gewandt, »Miss Violet scheint in der letzten Woche erstaunlich zugenommen zu haben. Was hat sie denn gegessen?«
»Alles«, meinte die Haushälterin kurz angebunden. »Ihr Appetit ist beinahe unstillbar, und ich vermute, daß sie sich heimlich Süßigkeiten, Gebäck und derartiges kauft. Ihr Papa muß ihr ein stolzes Taschengeld mitgegeben haben.«
»Das würde überhaupt nicht zu meinem geschätzten Schwager passen«, warf Emerson ein.
Ich ignorierte die Bemerkung. »Erklären Sie dem Kindermädchen, daß sie ihr das verbieten soll. Zuviel Süßes ist nicht gut für sie.«
»Das habe ich ihr bereits gesagt, Madam, aber sie ist jung und ziemlich furchtsam; und Miss Violet …«
»Ja, ich weiß, Mrs. Watson. Ich werde ein Wörtchen mit Miss Violet reden. Und wie wäre es mit einem anderen Kindermädchen? Mir ist entfallen, welche es augenblicklich ist, Kitty oder Jane?«
»Jane, Madam. Kitty hatte gewisse Bedenken, daß sie den Anforderungen nicht gerecht würde.«
»Das war vermutlich, nachdem sie Miss Violet kennengelernt hatte. Nun, Mrs. Watson, dann versuchen Sie es mit einem der anderen Mädchen. Hat sich denn keine passende Bewerberin auf mein Inserat gemeldet?«
»Nein, Madam. Ich habe eine junge Person eingestellt, die Jane ersetzen sollte. Sie hatte hervorragende Referenzen, von der Herzogin –«
»Sehr gut, Mrs. Watson. Wie gewöhnlich überlasse ich Ihnen die Angelegenheit. Emerson?«
»Ich muß mich beeilen.« Emerson stopfte sich den letzten Bissen Toast in den Mund. »Einen angenehmen Tag, meine Liebe. Hast du schon irgendwelche Pläne?«
Ich sah ihn an. Mein Blick war streng und unnachgiebig; doch obgleich ich es aus Furcht, seiner Eitelkeit zu schmeicheln, nie vor Emerson zugeben würde, läßt mich sein Anblick meist dahinschmelzen. Die blauen Augen, die wohlgeformten Lippen, die jetzt ein anziehendes Lächeln umspielte, die hohe Stirn mit den zerzausten schwarzen Locken – mit jedem seiner Gesichtszüge verbinde ich zärtliche Erinnerungen.
»Ich besuche Scotland Yard, Emerson«, sagte ich ruhig. »Deine Frage
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