Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
verwundert mich, schließlich hast du gehört, daß ich eine Verabredung mit Inspektor Cuff traf.«
»Ich habe nichts Derartiges gehört!« brüllte Emerson unwirsch. »Aber mir hätte klar sein müssen, daß du dorthin willst. Vermutlich ist es sinnlos, dich davon abzubringen. Ja. Dacht’ ich mir’s doch. Ach, zum Teufel!«
Er stapfte aus dem Zimmer – mit der gewohnten Energie, wie ich erfreut feststellte. Ich mag es nicht, wenn Emerson bedrückt und nachdenklich ist. Die kleinen Meinungsverschiedenheiten, die so außerordentlich zu einer erfüllten Ehe beitragen, verlieren ihre Würze, wenn er der Auseinandersetzung mit mir aus dem Weg geht. (Allerdings muß ich betonen, daß das extrem selten vorkommt.)
»Scotland Yard, Mrs. Emerson?« meinte die Haushälterin betreten. »Ihnen ist doch hoffentlich nichts Negatives im Hinblick auf das Personal aufgefallen?«
Wie es der naiven, lieben Frau gelungen war, nichts von unseren Aktivitäten zu bemerken, weiß ich nicht. Ich beeilte mich, sie zu beruhigen. »Nein, Mrs. Watson, es handelt sich um eine völlig andere Sache. Ich beabsichtige, ein Gespräch mit einem Mann zu führen, der zu Unrecht des Mordes beschuldigt wird, um ihn wieder auf freien Fuß zu setzen.«
»Wie … wie nett von Ihnen, Ma’am«, stammelte Mrs. Watson.
Als ich Scotland Yard erreichte, hatte sich der Nebel gelichtet. Inspektor Cuff war erfreut, mich zu sehen.
»Meine liebe Mrs. Emerson! Ich hoffe, daß Ihr gestriges Abenteuer keine negativen Auswirkungen hinterlassen hat?«
»Danke, ich erfreue mich bester Gesundheit. Sie haben mich bereits erwartet, nehme ich an?«
»O ja, Ma’am. In der Tat habe ich in Erwartung Ihres Besuches den Verdächtigen von der Bow Street hierherbringen lassen.«
»Den Verdächtigen? Man hat ihn wegen Mordes inhaftiert!«
»Meine liebe Mrs. Emerson«, Cuff lächelte holdselig. »Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Information bezogen. Vielleicht hat sich Ihr Informant einem gewissen Hang zur dramatischen Übertreibung schuldig gemacht. Wir haben Mr. Ahmet lediglich gebeten, uns bei unseren Ermittlungen behilflich zu sein. Gemäß den Statuten der britischen Gesetzgebung gilt, wie Sie wissen, jeder so lange als unschuldig, bis die Schuld bewiesen ist.«
»Ein überaus brillantes Plädoyer, Inspektor. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß sich Mr. Ahmet in polizeilichem Gewahrsam befindet und daß Sie mir noch immer nicht erklärt haben, warum Sie ausgerechnet ihn inhaftiert haben. Welches Belastungsmaterial haben Sie? Was war Ihrer Meinung nach sein Motiv für den Mord an Oldacre?«
»Vielleicht sprechen Sie zunächst mit ihm und bilden sich Ihr eigenes Urteil«, sagte Cuff unglaublich höflich. »Hier entlang, Mrs. Emerson, wenn ich bitten darf.«
Ein kräftiger, uniformierter Beamter bewachte den Häftling, doch ich erkannte auf den ersten Blick, daß eine solche Vorsichtsmaßnahme überflüssig war. Ahmet wies sämtliche Anzeichen von langjährigem Drogenkonsum auf – eine ungesunde gelbliche Gesichtshaut, einen ausgemergelten Körper, zitternde Hände und einen unsteten Blick.
» Salaam Aleikum, Ahmet il Kamleh « , begrüßte ich ihn. »Kennen Sie mich? Ich bin Sitt Emerson, manchmal auch Sitt Hakim genannt; mein Gebieter (unseligerweise ist das im Arabischen die Bezeichnung für >Ehemann<) ist Effendi Emerson, der Vater der Flüche.«
Er kannte mich. Ein unmerkliches Flackern in seinem Blick zeugte von seiner Aufmerksamkeit. Mühsam richtete er sich auf und machte eine tiefe, wenn auch schwankende Verbeugung. »Friede sei mit Ihnen, werte Sitt.«
» U’aleikum es-salaam « , erwiderte ich. » Warahmet Allah wabarakatu. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, Ahmet, daß Sie Gnade erwarten dürfen, selbst nicht vom Allmächtigen. Was steht im Heiligen Buch, dem Koran, über die Mordsünde geschrieben?«
Er senkte die Lider. »Ich habe den Effendi nicht umgebracht, Sitt. Ich war gar nicht dort. Meine Freunde werden das bezeugen.«
Seine Unschuldsbeteuerung klang wenig überzeugend. Trotzdem glaubte ich ihm. »Aber Sie verheimlichen etwas, Ahmet. Wenn Sie sich nicht offenbaren, werden Sie wegen Mordes gehenkt werden. Retten Sie Ihren Kopf. Vertrauen Sie mir.«
Er schwieg und rührte sich nicht; ich bemerkte lediglich, wie sein Blick vorsichtig in Richtung des Beamten schweifte.
»Er versteht kein Arabisch«, erklärte ich ihm.
»Genau das«, erwiderte Ahmet zynisch, »behaupten sie immer – daß sie nichts verstehen. Aber sie arbeiten mit
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