Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
nichts. Ich zitierte die von mir im Streifenwagen aufgeschnappte Bemerkung. Ahmet verdrehte die Augen.
»Sie kommen«, murmelte er. »Die wahren Gläubigen und die Häretiker, Männer und Frauen, Prinzen und Bettler. Haschisch und Opium sorgen für gerechte Gleichheit, Sitt, sie verleihen Allahs sämtlichen Geschöpfen Großzügigkeit. Selbst ein niederes Insekt wie Ahmet … Es ist schon so lange her – viel zu lange – seit meinem letzten Traum … Besorg mir Opium, Sitt – und eine Pfeife – nur eine … Wir werden reden und gemeinsam träumen …«
Ob er einen Anfall geistiger Verwirrung erlitten hatte oder diesen lediglich vortäuschte, es gelang ihm jedenfalls, unser Gespräch zu beenden. Ich rief den Polizisten und überließ Ahmet seinem vorübergehendem Schicksal; allerdings nicht, ohne ihm zuvor meine Hilfe anzubieten und zu bekräftigen, daß er mich Tag und Nacht rufen könne.
Im Gang erwartete mich Cuff. »Nun?« meinte er.
»Warum fragen Sie?« konterte ich. »Ich habe die Öffnung in der linken Wand bemerkt, Inspektor. Wer hat draußen gelauscht? Mr. Jones?«
Bewundernd schüttelte der Inspektor den Kopf. »Sie sind einfach zu scharfsinnig für mich, Mrs. Emerson. Nicht Jones; wie ich Ihnen bereits sagte, hat er Urlaub. Mehrere unserer Beamten sprechen Arabisch, natürlich niemand so fließend wie Sie. Warum interessierte Sie eigentlich diese Frau namens Ayesha so sehr?«
Ich reagierte mit einer Gegenfrage. »Was wissen Sie über diese Frau, Inspektor?«
»Nichts, was ein offizielles Verhör rechtfertigte«, erwiderte Cuff. »Ich möchte Sie bitten, Ma’am, nicht an diese Person heranzutreten. Sie ist kein Umgang für eine Dame wie Sie.«
»Ich habe nicht die Absicht, sie zum Abendessen einzuladen, Inspektor«, meinte ich ironisch. »Allerdings handelt es sich bei ihr ganz offensichtlich um eine einflußreiche Frau innerhalb der ägyptischen Gemeinschaft, insbesondere deren ungesetzlicher Aktivitäten – denn Besitzer und Betreiber von Opiumhöhlen kann man wohl kaum als Stützen der Gesellschaft bezeichnen. Ich kann nicht verstehen, weshalb Sie so ausweichend reagieren. Sie sollten diese Frau umgehend verhören. Und außerdem …«
Wir waren die Treppe zum Erdgeschoß hinuntergegangen. Dort blieb Cuff stehen, blickte mich an und sagte ernst: »Mrs. Emerson, ich habe großen Respekt vor Ihrer Person und Ihren Fähigkeiten. Unter behördlichen Aspekten sind Sie jedoch eine Bürgerin und eine Dame – beides Attribute, die es mir unmöglich gestalten, Sie ins Vertrauen zu ziehen. Würde ich den Anweisungen meiner Vorgesetzten zuwiderhandeln, riskierte ich einen Verweis, Degradierung, möglicherweise sogar meine Entlassung. Ich arbeite seit dreißig Jahren bei der Polizei. Ich hoffe, daß ich mich in Kürze mit meiner wohlverdienten Pension auf mein kleines Anwesen in Dorking zurückziehen kann, wo ich, dem Beispiel meines ehrenwerten Vaters und meines seligen Großvaters folgend, friedlich dem Alter entgegensehen und Rosen züchten will. Es steht wirklich nicht in meiner Macht –«
»Sparen Sie sich den Rest Ihres Vortrags, Inspektor«, unterbrach ich ihn. »Das kenne ich bereits – die immer gleichen, von männlicher Arroganz geprägten Ausreden. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf; Sie sind nicht besser oder schlechter als alle anderen Männer, und ich habe keinerlei Zweifel daran, daß Ihre Vorgesetzten ebenso blind und blasiert sind wie Sie.«
Cuffs ernstes Gesicht wurde von einem tiefbetrübten Ausdruck überschattet. Er legte eine Hand aufsein Herz und stammelte: »Mrs. Emerson, bitte glauben Sie mir …«
»Oh, ich glaube Ihnen, daß Sie nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Verzeihen Sie, wenn ich etwas überreagiert habe. Ich will Ihnen nichts Böses. In der Tat will ich Ihnen den Mörder überstellen, sobald ich ihn gefaßt habe. Und ich erwarte keine Vorschußlorbeeren für meine Pflichterfüllung. Guten Tag, Inspektor.«
Cuff war zu betroffen, um sich artikulieren zu können. Er verbeugte sich tief und behielt diese Körperhaltung bei, bis ich das Gebäude verlassen hatte.
Ich hob meinen Schirm, um eine Droschke anzuhalten. Als sie anfuhr, bemerkte ich eine mir seltsam vertraute Gestalt, die das Scotland Yard betrat; bevor ich diese jedoch genauer erkennen konnte, verschwand sie im Inneren.
Emerson bei Scotland Yard? Irgendwie überraschte mich das nicht.
Wohin sollte ich als nächstes fahren? Der werte Leser wird vermutlich kaum annehmen, daß mir das nicht völlig klar
Weitere Kostenlose Bücher