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Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Titel: Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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breiten, aber kurzen Gang, der nicht mehr als vier oder fünf Meter maß. An seinem Ende hing ein Vorhang aus zartem Leinen, durch den das Licht hindurchschimmerte, so daß man die kunstvolle Stickerei darauf erkennen konnte. Als wir näher kamen, teilte er sich. Emerson stolperte, fand jedoch sein Gleichgewicht wieder und ging weiter. »Du lieber Gott«, hörte ich ihn murmeln.
    Genau das empfand auch ich. Wir befanden uns im innersten Heiligtum des Tempels – einem riesigen, hohen Raum von gewaltigen Ausmaßen. Säulen teilten ihn in drei Gänge; und den mittleren und breitesten davon marschierten wir feierlich schweigend entlang und betrachteten voller Staunen das, was vor uns lag.
    Selbst wenn der Anblick merkwürdig war, hatte er für mich doch etwas Vertrautes, denn der Tempel war nach demselben Grundriß angelegt wie die Tempel im alten Ägypten. Nachdem wir durch den Säulengang und den Säulenhof gekommen waren, hatten wir nun das Heiligtum erreicht – die Heimstatt der Götter, denen der Tempel geweiht war. Häufig waren es drei, die eine göttliche Familie bildeten: Osiris, Isis und ihr Sohn Horus: oder Amon, seine Gefährtin Mut und ihr Sohn Khonsu. Auch am Ende dieses Heiligtums befanden sich in einer Nische drei Statuen, doch es handelte sich nicht um das übliche Dreigestirn. Zur Linken sah ich die sitzende Gestalt einer Frau, die mit gebogenen Hörnern gekrönt war und einen nackten Säugling an ihre Brust hielt – Isis, die den kleinen Horus stillt. Die Statue mußte sehr alt sein, denn die Gesichtszüge der göttlichen Mutter waren fein geschnitten und zeigten nicht die groben Merkmale, die meroitische oder spätägyptische Arbeiten auszeichnen.
    Die Nische zur rechten Hand enthielt ebenfalls eine vertraute Gestalt: Osiris in der starren Gestalt einer Mumie; er war der Herrscher der Menschen im Westen (das heißt: der Verstorbenen), dessen Tod und Auferstehung seinen Anhängern Hoffnung gab. Die dritte Figur jedoch, die die wichtigste, die mittlere Position besetzte, gehörte nicht zu dieser göttlichen Familie. Sie war etwa sechs Meter hoch. Ihre gewaltige Doppelkrone und das Zepter in ihrer Hand bestanden aus Gold, das von Emaille und wertvollen Steinen funkelte.
    »Du meine Güte, das ist ja unser alter Freund Amon-Re«, meinte Emerson so kühl, als betrachte er eine Statue, die er soeben aus einem viertausend Jahre alten Grab geholt hatte.
    »Oder Aminreh, wie man ihn hier nennt. Zwarnicht in seiner ursprünglichen Form, aber er zeigt die Attribute des Min. Das ist der mit dem enormen …«
    »Schon gut«, antwortete ich. »Ach, Emerson – mir kommt das alles sehr eigenartig vor. Ich befürchte, wir sollen geopfert weiden. Sonnenanbeter bringen für gewöhnlich Menschenopfer dar, und Amon …«
    »Sei nicht albern, Peabody. Diese Schundromane, die du da liest, weichen dir das Hirn auf.«
    Der Tempel war so groß, daß es eine Zeit dauerte, bis wir den Hochaltar erreichten – denn ein solcher stand dort, und er wies unheilverkündende dunkle Flecken auf. Die Prozession hielt inne. Unsere Begleiter reihten sich zwischen die Priester ein, die zu beiden Seiten des Mittelganges standen.
    Gerade hatte ich die Stühle zu beiden Seiten des Altars entdeckt, als zwei Männer hereinkamen und sich darauf niederließen. Einer war Tarek, der andere sein Bruder. Ich versuchte, Blickkontakt zu Tarek aufzunehmen, doch er starrte wie versteinert geradeaus. Nastasen schmollte; er sah aus wie ein trotziges Kind.
    Darauf folgte ein langes Schweigen. Emerson fing an, unruhig zu werden; er verabscheut formelle Zeremonien jeglicher Art. Außerdem brannte er darauf, sich durch die Reihen zu drängen und die Reliefs an Wänden und Altar näher in Augenschein zu nehmen. Was mich betraf, fand ich die Szene so interessant, daß ich nicht ungeduldig wurde. Keine der Götterstatuen des alten Ägyptens hatte im Originalzustand überdauert; diese hier waren alle bunt bemalt; einige Teile wie der Bart an Amons Kinn und das Zepter und die Peitsche in Osiris’ Hand waren aufgesetzt und bestanden aus Holz oder Edelmetall. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte ich, daß hinter den Statuen nicht, wie ich zuerst vermutet hatte, eine nackte Wand lag. Es waren verschiedene Durchgänge in die Mauer geschnitten. Amons Nische war tiefer und dunkler als die beiden anderen, und als ich näher hinsah und die Augen zusammenkniff, entdeckte ich, daß sich dort etwas bewegte.
    Endlich erklang in der Ferne

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