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Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Titel: Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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Kragen.
    Emerson juckte es in den Fingern. Er brannte darauf, sich Aufzeichnungen zu machen. Eine solche Zeremonie mitzuerleben, die schon oft erwähnt, doch niemals in allen Einzelheiten geschildert worden ist, war wie eine Reise in die Vergangenheit. Ich vergaß fast, welchen entsetzlichen Zweck die Zeremonie verfolgte und in welchen Abscheulichkeiten sie gipfeln sollte.
    Die Träger näherten sich, gebeugt unter der Last der vergoldeten Statue, langsam der Gasse inmitten der Menge, die zum Tor des Tempels führte. Grob stießen die Wachen die Zuschauer beiseite, deren Gesamtheit einem Ameisenhaufen glich. Flehende und bewundernde Ausrufe waren zu hören, und die Leute reichten Kinder über die Köpfe in der ersten Reihe hinweg, damit sie mit ihren kleinen Händen das heilige Gefährt berühren konnten. Alles kämpfte drängelnd und schubsend um die besten Plätze. Zum erstenmal wurde mir wirklich klar, welche Macht der Aberglaube ausübt, und ich erkannte, daß die Religion, die ich mit wissenschaftlicher Distanz studiert hatte, damals wie heute eine lebendige Kraft ist. Diese Menschen glaubten aus ganzem Herzen. Sie würden die Entscheidung des Gottes annehmen und den verteidigen, den er erwählte.
    Nachdem die Träger einen Teil des Ganges zurückgelegt hatten, blieben sie plötzlich stehen. Ein Mann löste sich aus der Menge, und die Wachen machten ihm Platz. Zwar konnte ich nicht hören, was er sagte, aber ich nahm an, daß es sich um eine Bitte oder Frage handelte – und daß er die Wachen und Träger gut bestochen hatte, damit er den Gott nicht nur ansprechen durfte, sondern auch die gewünschte Antwort erhielt. Ich stand auf und stellte mich auf die Zehenspitzen, um die Antwort des Gottes zu sehen, aber leider drehte er mir den Rücken zu, und vor mir drängten sich die Leute. Ich erkannte nur, daß der Bittsteller zusammenfuhr, die Hände vors Gesicht schlug und rückwärts taumelte. Durch die Menge ging ein erstauntes Murmeln. Kurz darauf setzte das Schiff seinen Weg fort.
    Dieser Vorfall wiederholte sich zweimal, aber die Zuschauer versperrten mir die Sicht. Dann hatte das Schiff das Tor erreicht und machte sich wieder auf den Rückweg. Diesmal kam es schneller und ohne anzuhalten voran. Atemlos verstummte die Menge. Da erhob sich die volltönende Stimme des Hohepriesters: »Oh Aminreh, König der Götter – der Pharao erwartet dich. Gib ihm deinen Segen, oh Aminreh, auf daß das Land unter Seiner Majestät blühe und gedeihe.«
    Mit einem selbstgefälligen Lächeln trat Nastasen vor. Wo steckte nur Tarek? Jetzt war der Moment, da alle Augen auf die Barke und den Gott gerichtet waren und die Menschen erwartungsvoll den Atem anhielten. Ich konnte den Blick nicht von der grotesken hölzernen Statue lösen. Das bemalte Gesicht starrte geradeaus. Die Augenhöhlen … sie waren leer, nicht bemalt oder mit eingelegten Kristallen versehen. Aber es befand sich etwas dahinter, denn ich konnte ein Funkeln entdecken. Außerdem stellte ich fest, daß die Arme des Gottes nicht aus dem gleichen Stück geschnitzt waren wie der Körper, sondern daran befestigt waren – und in diesem Moment, als das Schiff Nastasen fast erreicht hatte, bewegten sich die Arme. Die schwere hölzerne Peitsche schlug einem Träger auf die Schulter, der einen Schmerzensschrei ausstieß, ins Stolpern geriet und die Tragestange losließ. Im Fallen stieß er gegen den Mann, der vor ihm stand. Das ganze Boot geriet ins Schwanken, als sich die anderen Träger bemühten, nicht das Gleichgewicht zu verlieren und die Stangen festzuhalten. Der Arm des Gottes hob sich – nicht derselbe wie vorhin, sondern der, dessen Hand den Krummstab hielt. Sanft landete er auf dem Kopf des Mannes, der plötzlich aus den Reihen der Zuschauer getreten und neben dem Schrein aufgetaucht war. Sein weißes Gewand war das eines gewöhnlichen Priesters. Das Gesicht gehörte Tarek.
    Über das erstaunte Schweigen erhob sich eine Stimme wie der Schall einer Trompete. »Der Gott hat gesprochen! Volk des Heiligen Berges, siehe deinen König!«

16. Kapitel

    »Schlaf, Diener Gottes«
     
    Ich erkannte die Stimme – also stand Murtek doch auf Tareks Seite! Er hatte genau den richtigen Zeitpunkt abgepaßt. Während die Zuschauer starr vor Staunen dastanden, riß Tarek sich die festliche Perücke vom Kopf und streifte die Gewänder ab. Auf seiner Stirn waren die Zwillingskobras, die Symbole der Herrschaft, zu sehen, auf seiner Brust lagen die heiligen Insignien – Skarabäus,

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