Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
Kobra und Nekhbet-Geier. Er zog sein Schwert, erhob es und rief: »Ich bin der König! Verneigt euch vor dem Erwählten Aminrehs, der dem Land ma’at bringt, dem Verteidiger des Volkes!«
Im ganzen Hof entledigten sich Männer ihrer Verkleidung, zückten die Waffen, holten unter ihren Gewändern rote Federn hervor und schoben sie sich ins Stirnband.
»Bravo!« rief Emerson aus. »Was für ein Stratege! Das hätte ich selbst nicht besser machen können.«
Es war ein Geniestreich, und einen Augenblick lang glaubte ich fast, Tarek würde die Krone ohne Gewalt und Bruderkrieg erringen können. Doch seine roten Federn waren Nastasens Lederhelmen zahlenmäßig unterlegen. Außerdem würde der Hohepriester Aminrehs nicht zulassen, daß die Macht ihm so mir nichts dir nichts entglitt.
»Verrat!« schrie Pesaker. »Gotteslästerung! Dieser Verbrecher hat keinen Namen. Er ist nicht der Erwählte Aminrehs, sondern ein Verräter und zum Tode verurteilt! Ergreift ihn!«
Ein entsetzlicher Tumult brach los. Nastasens Männer versuchten, den Befehl des Hohepriesters auszuführen, und die Aufständischen beeilten sich, ihrem Anführer beizustehen. Auf so engem Raum waren Pfeil und Bogen und die langen Speere nutzlos; die Soldaten kämpften mit Schwertern und Messern, Mann gegen Mann. Emerson konnte vor Aufregung kaum stillsitzen. »Verdammt, Peabody, laß meinen Arm los! Gebt mir ein Schwert! Gebt mir eine Feder!«
Ich mußte schreien, um mir trotz der Schlachtrufe und des Schepperns der Waffen Gehör zu verschaffen. »Emerson – schau hin!«
Über den Köpfen der Kämpfenden schwankte die Barke des Gottes wie ein echtes Schiff auf stürmischer See. Die Träger verloren einer nach dem anderen das Gleichgewicht und gingen unter dem Menschenansturm zu Boden. Schließlich kippte das Schiff am Bug und fiel krachend zu Boden. Das morsche, alte Holz zerbarst in tausend Stücke; der Schrein stürzte zusammen, als sei er aus Streichhölzern gebaut. Auch die Statue zerbrach in zwei Teile und zum Vorschein kam, wie ein Schmetterling aus der Puppe, eine kleine Gestalt und purzelte den Kämpfenden hilflos vor die Füße. Mit lautem Gebrüll stürzte sich Emerson in das Tohuwabohu. Als er wieder erschien, hielt er Ramses in den Armen.
Ich zog meine Pistole und feuerte, ohne mit der Wimper zu zucken, auf den Soldaten, der Emerson gerade sein Schwert über den Kopf ziehen wollte. Mit einem Satz landete Emerson neben mir und warf mir Ramses ohne viel Federlesens vor die Füße. »Mein Gott, Peabody, paß doch auf, wohin du schießt! Die verdammte Kugel flog so nah an mir vorbei, daß sie mir einen Scheitel gezogen hat.«
»Besser so als mit einem Schwert«, entgegnete ich. Wieder stürzte sich ein Soldat mit Lederhelm auf uns. Ich zielte auf seinen Arm, aber ich mußte ihn verfehlt haben, denn er blieb nicht stehen. Also beschloß ich, daß ich mir unter diesen Umständen keine Zimperlichkeit leisten konnte. Der zweite Schuß brachte ihn zu Fall, so daß er beinahe auf Ramses stürzte. Gerade noch rechtzeitig ergriff Emerson sein Schwert und wehrte den wütenden Hieb eines anderen Angreifers ab. Nun eilten weitere Männer auf uns zu; allerdings trugen einige von ihnen die rote Feder und wollten uns zur Hilfe kommen. Meiner Ansieht nach war der Zeitpunkt da, meinem Sohn einen Moment Aufmerksamkeit zu schenken.
Offenbar war das Innere der Statue seit Jahren nicht gesäubert worden. Spinnweben zierten Ramses’ Haar (was davon übrig war), und sein Rock war schmutzig. Auf seinem Bauch entdeckte ich einen deutlich auszumachenden Sandalenabdruck, was sein Schweigen erklärte. Ich schüttelte ihn. »Bist du verletzt, Ramses?«
Doch Ramses gab nur ein Keuchen von sich, während er versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
Mit gezückter Pistole wandte ich mich um, denn ich wollte feststellen, ob Emerson meine Hilfe brauchte. Doch er schlug sich sehr wacker. Anscheinend hatte er heimlich Fechtunterricht genommen, denn seine Fähigkeiten hatten sich seit jenem unvergeßlichen Tag, an dem er mit dem Meisterverbrecher um meine bescheidene Person gekämpft hatte, sehr verbessert. Meiner Meinung nach hätte er mit seinem Gegner rasch fertig werden können, hätte er nicht versucht, den Mann nur kampfunfähig zu schlagen, sondern ihn statt dessen getötet.
Einer unserer Retter fiel; sein Blut spritzte auf meine Stiefel. Eine Kugel aus meiner verläßlichen kleinen Pistole setzte seinen Mörder schachmatt. Eilig lud ich nach. Der Kampf tobte. Ich sah,
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