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Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Titel: Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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bekommen? Ein Antlitz, so beängstigend schön wie das von Mr. Haggards unsterblicher Sie ? Die verhutzelten Züge einer alten Hexe? Oder sogar – denn meine Vorstellungskraft hatte sich im Gegensatz zu meinem Körper bereits vollständig erholt – ein blasses Gesicht, umrahmt von silberblondem Haar, das Gesicht von Mrs. Willoughby Forth?
    Sie nahm den Schleier ab und schlug den Leinenstoff mit einem sehr menschlichen Seufzen der Erleichterung zurück. Ihr Antlitz war weder hellhäutig noch erschreckend schön, obwohl man es keinesfalls häßlich nennen konnte. Wie bei Prinz Tarek waren auch ihre Züge fein geschnitten, mit hohen Wangenknochen und einer markanten Nase. Ein goldfarbenes Netz hielt ihr üppiges, dunkles Haar zusammen. Mir gefiel die mädchenhafte Eitelkeit, mit der sie ihr Gesicht geschminkt hatte, das doch niemand sehen durfte – ein Kajalstrich betonte ihre dunklen Augen und langen Wimpern, und auf Wangen und Lippen hatte sie eine rötliche Substanz aufgetragen. Verglichen mit der geheimnisvollen Gestalt, die sie verschleiert darstellte, wirkte sie nun so sanft und alltäglich, daß ich schon mit dem Gedanken spielte, sie anzusprechen. Doch ehe ich mich entscheiden konnte, schlief ich ein.
    Die nächsten Tage verbrachte ich hauptsächlich schlafend und essend. Die Speisen waren überraschend gut zubereitet: Gänse- und Entenbraten mit verschiedenen Saucen, Lamm mit den unterschiedlichsten Gemüsesorten wie Bohnen, Rettichen und Zwiebeln, diverse Brote und kleine Kuchen, die von klebrigem Honig tropften. Das Obst war ungewöhnlich wohlschmeckend: Trauben, Feigen und Datteln, so süß wie die unvergleichlichen Früchte von Sukkôt. Zu trinken gab es Wein (recht dünn und säuerlich, aber erfrischend), ein dickes, dunkles Bier und Ziegenmilch. Wasser bekam ich keines, und ich fragte auch nicht danach, da ich annahm, es sei gefährlich, es im nicht abgekochten Zustand zu trinken. Außerdem hatte ich meinen Tee ohnehin mit den übrigen Ausrüstungsgegenständen zurückgelassen.
    Auf Emersons Vorschlag hin nutzten wir die erzwungene Untätigkeit, um die Landessprache zu erlernen. Ich hatte eigentlich gehofft, daß unsere Ägyptischkenntnisse uns dabei eine Hilfe sein würden, doch abgesehen von einigen Titeln und Eigennamen gab es fast keine Gemeinsamkeiten. Auf dem Heiligen Berg wurde eine völlig eigenständige Sprache gesprochen. Trotzdem machten wir ausgezeichnete Fortschritte, nicht nur aufgrund gewisser geistiger Fähigkeiten, die ich aus Gründen der Bescheidenheit nicht näher erwähnen möchte, sondern auch, weil Ramses schon vor unserer Ankunft viel von Tarek alias Kemit gelernt hatte. Ich brauche nicht eigens zu betonen, daß er die Gelegenheit, seine Eltern belehren zu können, in vollen Zügen auskostete. Zuweilen war ich versucht, ihn in sein Zimmer zu schicken.
    Eines Abends beschloß ich, meine wachsenden Sprachkenntnisse an meiner Pflegerin zu erproben. Ich wartete, bis sie ihre Arbeiten beendet und sich mit unverschleiertem Gesicht zum Ausruhen niedergesetzt hatte, ehe ich sie ansprach: »Seid gegrüßt, Magd. Ich danke Euch für Euer gutes Herz.«
    Sie fiel fast vom Stuhl, und ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Nachdem sie sich wieder gefaßt hatte, funkelte sie mich mit verletztem jugendlichem Stolz an. In holprigem Meroitisch versuchte ich, mich zu entschuldigen.
    Sie überschüttete mich mit einem Redeschwall, dem ich nicht folgen konnte. Dann sagte sie, offensichtlich erfreut über mein mangelndes Verstehen: »Ihr sprecht unsere Sprache sehr schlecht.«
    »Dann sprechen wir doch Englisch«, meinte ich in nämlicher Sprache.
    Zögernd biß sie sich auf die Lippe und meinte dann auf meroitisch: »Ich verstehe nicht.«
    »Das glaube ich nicht. Lernen in Eurem Land nicht alle Menschen von hoher Geburt Englisch?«
    Dieses Kompliment verringerte ihre Wachsamkeit. »Ich spreche … klein. Nicht viele Wörter.«
    »Ach, ich wußte es. Ihr sprecht sehr gut. Wie heißt Ihr?«
    Wieder zögerte sie und musterte mich durch ihre langen Wimpern. Schließlich sagte sie: »Ich bin Amenit, oberste Magd der Göttin.«
    »Wo habt Ihr Englisch gelernt? Bei dem weißen Mann, der hierhergekommen ist?«
    Verständnislos sah sie mich an und schüttelte den Kopf. Keiner meiner Versuche, die Frage anders zu formulieren oder sie in meinem holprigen Meroitisch zu stellen, brachte Erfolg.
    Allerdings erfuhr ich einiges von ihr. Sie hatte nie den Schleier abgenommen oder gesprochen, wenn Ramses oder

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