Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
Emerson anwesend waren. Jedoch lag das nicht, wie ich vermutet hatte, an ihrem Geschlecht. Nur die »Göttin« und die anderen Mägde durften ihr Gesicht sehen. Sie wollte oder konnte mir nicht erklären, warum sie in meinem Fall eine Ausnahme gemacht hatte. Ich kam zu dem Schluß, daß sie mich zu ungewöhnlich fand, um zu wissen, wie sie mit mir umgehen sollte.
Unsere Bekanntschaft entwickelte sich, bis wir freundlich über Kosmetik, Speisen und besonders über ein Thema plaudern konnten, das vor allem Frauen am Herzen liegt: Kleider. Meine von der Reise verschmutzten Sachen waren mir – ordentlich gewaschen – zurückgegeben worden. Amenit wurde nicht müde, den Stoff zu befühlen, die Taschen zu untersuchen und über den Schnitt und die Mode zu lachen. Ich wage zu behaupten, daß sie noch lauter gelacht hätte, hätte ich ihr von Korsetts erzählt.
Da ich nur eine Garnitur Kleidung besaß, mußte ich mich in einheimische Gewänder hüllen. Sie waren sehr bequem, doch nicht sehr einfallsreich, denn Frauen trugen hier formlose Kaftane aus Leinen oder Baumwolle. Die eleganteren – die man an der feinen Webarbeit erkannte – waren reinweiß.
Andere waren mit bunten Fäden durchwirkt oder bestickt. Da sie weder über Knöpfe noch Schließen verfügten, waren sie vorne offen und mußten mit Schärpen oder Gürteln zusammengehalten werden. Allerdings vertraute ich diesen zweifelhaften Hilfsmitteln nicht und griff deshalb zu Sicherheitsnadeln. Unter durchscheinendere Gewänder zog ich meine Unterwäsche an.
Da Emerson ebenso schlecht ausgestattet war wie ich, trug er häufig die lange Herrenversion der weiten Gewänder oder ein Leinenhemd aus einheimischer Herstellung. Allerdings weigerte er sich standhaft, sich in einem kurzen Rock wie dem von Tarek zu zeigen. Zuerst konnte ich seine Schamhaftigkeit nicht verstehen, denn normalerweise hatte ich meine liebe Not, ihn am Ausziehen zu hindern.
Lassen Sie es mich einmal so sagen: Bei Ausgrabungen war Emerson nur allzu bereit, Jacke, Hemd und selbstverständlich auch den Hut abzulegen. Ich schalt ihn stets deswegen, da es mir unschicklich vorkam, selbst wenn niemand außer den Arbeitern ihn so sah. Ästhetisch jedoch war die Wirkung sehr ansprechend, und ich vermutete, Emerson wußte genau, was der Anblick seiner gebräunten, muskulösen Gestalt in mir auslöste. Doch nun, da er endlich einen legitimen Grund hatte, diese Reaktion herbeizuführen, weigerte er sich. Schließlich, nach Äußerungen meinerseits, die er gerne als »dein ständiges Genörgel, Peabody« bezeichnet, willigte er ein, die elegante Ausstattung anzulegen, die für ihn bereitgestellt worden war, damit ich mir selbst ein Urteil bilden konnte.
Da Amenit – wie immer – anwesend war, zog er sich zum Umkleiden in sein Zimmer zurück. Als er wieder hereinkam und mit einer leidenschaftlichen Geste den Vorhang beiseite schleuderte, konnte ich einen bewundernden Aufschrei nicht unterdrücken. Sein Haar war inzwischen fast schulterlang, die dichten, schimmernden Locken wurden von einem scharlachroten Haarband, verziert mit goldenen Blumen, aus seiner edlen Stirn gehalten. Der breite Kragen auf seiner Brust funkelte kräftig von Türkisen, Korallen und Lapislazuli und hob sich schimmernd von seiner gebräunten Haut ab. Armreifen aus Gold und Edelsteinen umschlangen seine Handgelenke, ein breiter Gürtel aus eben diesen kostbaren Materialien hielten den gefältelten Rock zusammen, der seine Knie freiließ und …
Es gelang mir, mein Gelächter in ein Husten zu verwandeln, doch Emersons Gesicht nahm eine hübsche bräunliche Färbung an, während er sich hastig hinter den Bettvorhängen versteckte.
»Ich habe es dir ja gesagt, Peabody, verdammt! Meine Beine!«
»Du hast sehr hübsche Beine, Emerson. Und deine Knie sind ziemlich …«
»Sie sind weiß!« brüllte Emerson hinter den Bettvorhängen hervor. »Schneeweiß! Sie sehen lächerlich aus!«
Das stimmte in der Tat, was ein Jammer war, denn vom Scheitel bis zum Rocksaum bot Emerson ein Bild wilder, männlicher Schönheit. Nach diesem Ereignis redete ich nicht mehr vom Umkleiden. Doch zuweilen beobachtete ich Emerson, wie er sich im Garten hinter einem Baum die Beine sonnte.
Wir waren nie allein. Ich weiß nicht, wann Amenit schlief; sie befand sich stets im Zimmer, ging gerade hinaus oder kam herein. Und wenn sie nicht da war, wurde sie von einem der Dienstboten vertreten. Die Diener waren schüchterne, schweigsame, kleingewachsene Menschen, und
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