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Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt

Titel: Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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vollführte die Geste, mit der er mich immer gegrüßt hatte und die ich nun (wie hatte ich das übersehen können) als die erkannte, die in unzähligen antiken Reliefs abgebildet ist. »Mein Herz freut sich, Herrin, Euch wohlauf zu sehen. Dies hier sind mein Bruder, Graf Amenislo, Sohn der Herrin Bartare« – er wies auf den jüngeren Mann, einen pausbäckigen, lächelnden Burschen, der lange, goldene Ohrringe trug – »und der königliche Ratgeber Murtek, Hohepriester der Isis, erster Prophet des Osiris.«
    Der Mund des alten Herren verzog sich zu einem breiten Lächeln, das einen zahnlosen Gaumen sehen ließ. Nur zwei Zähne waren ihm geblieben, und die waren braun und abgenützt. Trotz des schrecklichen Anblicks seines Gebisses war sein Wohlwollen nicht zu übersehen, denn er verbeugte sich wiederholt und hob mehrmals grüßend die Hände. Dann räusperte er sich und sagte: »Guten Morgen, Sir, guten Morgen, Madam.«
    »Du meine Güte!« rief ich aus. »Spricht denn hier jeder unsere Sprache?«
    Der Prinz lächelte. »Einige von uns sprechen und verstehen sie ein wenig. Mein Onkel, der Hohepriester, wünschte Euch zu sehen, um sich zu vergewissern, daß Eure Krankheit vorbei ist.«
    Sein Onkel sah mehr von mir, als mir lieb war, denn mein Leinengewand war ärmellos und so durchscheinend wie feinster Batist. Noch nie bin ich von einem anderen Mann als meinem Gatten so eindringlich gemustert worden, und es war offensichtlich, daß der alte Gentleman noch nicht alle Instinkte und Triebe der Jugend verloren hatte. Seltsamerweise aber empfand ich diese Musterung meiner Person nicht als beleidigend.
    Emerson jedoch hatte keinen Sinn für so feine Unterscheidungen. Er klappte mich zusammen und drückte mir die Knie an die Brust, um soviel wie möglich von mir zu verbergen. »Wenn Ihr gestattet, Eure Hoheit, werde ich Mrs. Emerson wieder ins Bett legen.«
    Das tat er auch, wobei er mich bis zum Kinn mit einem Leinenlaken bedeckte. Auf eine Geste von Murtek hin glitt die weißverschleierte Gestalt auf mein Bett zu. Sie mußte barfuß gewesen sein, denn sie legte den Weg völlig lautlos zurück. Das hatte eine so unheimliche Wirkung, daß ich unwillkürlich zurückwich, als sie sich über mich beugte. Über dem Gesicht waren die Schleier dünner, und ich sah funkelnde Augen, die mich betrachteten.
    »Alles in Ordnung, Peabody«, sagte Emerson, der die Szene wachsam beobachtete. »Das ist die medizinische Fachkraft, von der ich gesprochen habe.«
    Aus den zarten Schleiern tauchte eine Hand auf, zog mit dem fachmännischen Selbstbewußtsein eines westlichen Arztes das Laken zurück, öffnete mein Gewand und drückte mir auf die entblößte Brust. Nicht die professionelle Geste verblüffte mich – ein Papyrus mit einem medizinischen Text darauf hatte den Beweis erbracht, daß die Ägypter von »der Stimme des Herzens« wußten –, sondern daß die Hand schlank, klein und mit spitz zulaufenden Nägeln war.
    »Ich vergaß zu erwähnen«, fuhr Emerson fort, »daß die medizinische Fachkraft eine Frau ist.«
    »Woher willst du wissen, ob es sich um dieselbe Person handelt?« fragte ich.
    »Wie bitte?« entgegnete Emerson.
    Unsere Besucher hatten sich zurückgezogen, alle außer der »medizinischen Fachkraft«, deren Pflichten offenbar auch solche einschloß, die ein westlicher Arzt als unter seiner Würde betrachtet hätte. Nachdem sie mir diejenigen Dienste erwiesen hatte, die nur eine Frau bei einer Geschlechtsgenossin versehen kann, erhitzte sie etwas über einem Kohlenfeuer am gegenüberliegenden Ende des Raum. Ich kam zu dem Schluß, daß es sich um eine Suppe handeln mußte, denn der Geruch war höchst appetitlich.
    »Ich sagte, woher weißt du, ob das dieselbe Person ist, die mich auch während der Reise versorgt hat?« fragte ich. »Durch die Schleier ist sie nicht zu erkennen, und da ich inzwischen zwei Menschen in einem solchen Gewand gesehen habe, gehe ich davon aus, daß es sich um eine Uniform oder Tracht handelt. Oder verschleiern sich hier alle Frauen?«
    »Dein Verstand ist so scharf wie immer, mein Liebling«, meinte Emerson, der sich inzwischen einen Stuhl ans Bett gerückt hatte. »Offenbar ist das die Tracht der Frauen, die man die >Mägde der Göttin< nennt. Die fragliche Göttin ist Isis, und anscheinend fungiert sie hier als Schutzpatronin der Heilkunst – anders als im alten Ägypten, wo Thoth diese Rolle innehatte. Doch wenn man genauer darüber nachdenkt, ist Isis viel besser dafür geeignet.

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